Nachdem die Ausrüstung also verstaut war, kam die so genannte “Oberflächenpause”. Zwangsweise, muss man sagen, denn für den zweiten Tauchgang wurde ein anderes Tauchrevier angesteuert. Nachdem wir einigermaßen trocken und in “ziviler” Kleidung waren, saßen Annette und ich auf der Bank im offenen Bereich des Bootes und sahen aufs Meer hinaus. Und wir redeten…

…nichts.

Das kann man hier schon hervorheben. Wenn Sie die bisherigen Artikel in diesem Blog aufmerksam verfolgt haben, dann wissen Sie, dass Annette und ich stundenlang, tagelang und nächtelang über Gott, das Leben, das Universum und den ganzen Rest reden können. Sollten Sie die bisherigen Artikel in diesem Blog nicht gelesen oder nur überflogen haben, dann machen Sie zur Strafe eine zehnseitige Zusammenfassung über die bisherigen Artikel bis Samstag! Außerdem schreiben Sie hundert Mal: “Ich will nicht unaufmerksam sein, wenn mir die netten Leute von dem Blog da was erzählen.”

Wenn also zwei Menschen, die sonst über alles reden, nebeneinander sitzen und erstmal gar nicht reden, dann ist das ein Zeichen, das was passiert ist. Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was ich in dem Moment sagen sollte. Annette kam mir zu Hilfe. Nachdem wir einige Zeit stumm nebeneinander gesessen waren, sagte sie zu mir… sie sagte… äh… ja, und darauf antwortete ich… äääääh… ich weiß es nicht mehr! Die Eindrücke waren richtig heftig. Und das nicht im negativen Sinne. Und darüber sprachen wir, auch wenn ich das Gespräch nicht mehr exakt wiedergeben kann. Allein mein Gesichtsausdruck sprach Bände. Ich konnte wieder lächeln.

Schließlich kam der Tauchlehrer zu uns, um “Manöverkritik” zu machen. Aber so “hart” war das gar nicht. Wir wären halt noch unbeholfen, aber das sei normal für Anfänger. Und dann lobte er, dass wir immer so schön nach einander geschaut hatten. Tatsächlich war das – zumindest von meiner Warte aus – so, zumindest nachdem ich nicht mehr so sehr mit mir selbst beschäftigt war. Und dass wir auch auf die Idee gekommen sind, wenn der Buddy nicht rechts oder links zu finden sei, auch mal woanders nachzusehen. Es erstaunte mich, dass das was besonderes sei. Aber es ist wohl Gewohnheitssache, denn an Land erwartet man nun mal nicht, dass eine Person, die man gerade aus den Augen verloren hat, vielleicht anderthalb Meter über einem schwebt. Der Vortrag des Tauchlehrers endete sinngemäß mit den Worten: “Und jetzt gibt’s Essen!” Oh ja, Essen

…wie bitte?

Noch am Morgen war ich der festen Überzeugung, den ganzen Tag nichts essen zu können. Aber ich merkte doch ein aufkommendes Hungergefühl. Dann jedoch wurde spontan die Planung umgeworfen und wir sollten zuerst das Tauchgebiet anfahren. Die Zeit dahin würde nicht reichen, also mussten wir uns gedanklich auf den zweiten Tauchgang vorbereiten. Und auf die Übungen, die dort stattfanden.

Das Gebiet, das wir nun ansteuerten, hieß “Siyul Soraya”. Ein Riff diesmal. Gut, das erste Mal war auch ein Riff, aber auf diesem würde es kein Wrack geben. Auch gut. Als wir anlegten, sahen wir, dass wir nicht die einzigen waren. Ein Boot mit Schnorchlern war auch da. Und plötzlich rief jemand: “Seht mal, da sind schwule Haie im Wasser!” Ich sah mich um. Wovon redeten wir hier? Schwule Haie? Ich sah nur Schnorchler und war einen Moment der Überzeugung, die Person meinte die, bis ich sah, was er wirklich gemeint hatte: Delphine, denen die Rechschreibreform das “ph” geklaut hatte und die man jetzt “Delfin” schrieb. Genauer gesagt waren es Rot-Meer-Tümmler (behauptete unser Tauchlehrer). Schön, hatten wir die also auch gesehen, wenn auch aus der Ferne.

Der Einstieg und Abstieg lief diesmal reibungslos. Soll keiner sagen, dass wir nicht lernfähig wären. Wir folgten dem Riff. Genauer gesagt folgten wir dem Tauchlehrer, der dem Riff folgte, denn diesmal war nix mit schieben. Eigenarbeit war angesagt. Wieder waren es unglaubliche Eindrücke. Fische, wohin man sah. Und die schien es nicht zu stören, dass da diese Krachmacher rumschwammen (für einen Fisch muss so ein Taucher eigentlich einen Heidenlärm veranstalten). Und so langsam lernten wir auch die eine oder andere Tücke des Tauchens kennen. Unser Tauchlehrer wies uns auf einen Platz etwas weg vom Riff, wo wir uns in den Sand setzen sollten. Das Problem war, dass Annette zu dem Zeitpunkt in eine andere Richtung schaute und die Anweisung nicht mitbekam. Unser Lehrer deutete auf sie und machte mir gestenreich klar, dass ich sie anstupsen sollte. Hm. Was hatte ich Lehrbuch gelesen? Den Buddy auf einen aufmerksam machen, indem man mit dem Tauchermesser an die Flasche klopft. Schön. Tauchermesser hatte ich keins. Wer braucht sowas schon? Hm. Vielleicht könnte ich aber mit den Fingerknöcheln an ihre Flasche klopfen, so wie man an eine Tür klopft. Ob sie das überhaupt hörte? Keine Ahnung. Wie sagt Aiman Abdallah in der Werbung immer so schön? “Finden wir’s raus!” Ich schwamm also zu ihr rüber und wollte an ihre Flasche klopfen. Ich holte aus… und verfehlte sie um mindestens zwanzig Zentimeter. So viel zum Thema “Entfernungen unter Wasser einschätzen”. Das Problem war dann, dass ich sehr viel Schwung geholt hatte. Immerhin galt es, den Wasserwiderstand zu überwinden, zudem hatte ich damit gerechnet, dass meine Hand von ihrer Flasche gebremst wird. Sie tat es nicht, stattdessen bekam ich über meine linke Schulter Übergewicht und kippte nach vorne. Ich ruderte wie verrückt mit den Armen und konnte gerade noch verhindern, dass ich mich kopfüber in den Meeresboden bohrte. Ich möchte wetten, der Tauchlehrer hat gelacht. Oder die Augen verdreht. Oh Gott, wird er gedacht haben, Männer ohne Nerven.

Immerhin hatte das Manöver was gebracht, denn Annette wurde auf mich aufmerksam. Vermutlich hat mein wildes Gefuchtel eine Strömung verursacht, die sie gespürt hat. Nun setzten wir uns in Dreiecksformation auf eine Sandfläche und  machten den ersten Teil unserer Übungen. Es klappte eigentlich alles recht gut, bis auf einen Zwischenfall, den ich mir nicht ganz erklären konnte, als Annette sich plötzlich abwandte und die Hande vors Gesicht hielt. Unser Tauchlehrer war schnell bei ihr – und was auch immer es war, es war genauso schnell wieder vorbei.

Danach verlief es mehr oder weniger reibungslos, auch wenn man die Erfahung machen muss, dass das Meerwasser mehr in den Augen sticht, als das Poolwasser (das Rote Meer hat einen erhöhten Salzgehalt). Doch gerade als wir wieder aufbrechen wollten, deutete unser Tauchlehrer in eine Richtung, weg vom Riff. Was war da? Dann sahen wir es – zwei Delfine, die vorsichtig näherkamen. Offenbar waren sie neugierig geworden, was wir denn da machten. Unser Tauchlehrer schwamm ihnen ein Stück entgegen. Die Tiere blieben stehen, was sehr unwirklich aussah: sie schwebten im Wasser und “stellten” sich auf die Schwanzflossen. Der Tauchlehrer begann nun, sehr improvisiert die Hüften zu schwingen in einer Art, wie Shakira das nicht tut. Aber der eine Delfin fühlte sich animiert, ihn nachzumachen. Was war das denn? Ein tanzender Delfin? Hatte ich einen Tiefenrausch? Auf zehn Metern? Der andere Delfin kam nun zu uns herübergeschwommen. Vielleicht dachte er sich, mal sehen, ob die auch so lustig sind. Ich fühlte mich unweigerlich an eine der typischen Episoden der alten “Flipper“-Fernseheserie aus den 1960er Jahren erinnert…

Bud: “Hallo Flipper! Du bist ja so aufgeregt!”

Fünf Meilen vor der Küste ist ein Boot in Seenot geraten! Ihr müsst schnell helfen!

Bud: “Was ist los? Willst Du Fisch?”

Ich will keinen Fisch! Da ist ein Boot in Seenot!

Bud: “Hier hast Du einen leckeren Fisch!”

Lies es von meinen Lippen ab: DA IST EIN BOOT IN SEENOT… Verdammt, Delfine haben ja keine Lippen! Und dieser Fisch… bah, wie alt ist der denn? Was glaubst Du, wer ich bin? So ‘ne Art Müllschlucker der Meere?

Sandy: “Hey, Bud, was ist denn los?”

Bud: “Ich weiß auch nicht, Flipper ist ganz aufgeregt!”

Sandy: “Vielleicht will er Fisch?”

ICH WILL KEINEN FISCH! Es ist unglaublich, dass eine Spezies, die so himmelschreiend dämlich ist wie die Eure, den ganzen Planeten erobert hat. Pah, ich warte jetzt einfach 30 Jahre, dann kommt das Remake dieser Serie – da spielt nämlich Jessica Alba mit, so!

Hmmm… offenbar habe ich die Serie nicht mehr so ganz richtig präsent. Jedenfalls kam unser “Flipper” näher…

ICH HEISSE NICHT “FLIPPER”! Schließlich heißt ja auch nicht jeder Clownfisch “Nemo”, oder? Mein Name ist Bartholomäus Evonion Adalbertus der Dritte, jawohl! So viel Zeit muss sein!

Der Delfin kam näher und schwamm zwischen Annette und mir durch. Annette streckte die Hand aus, da drehte sich der Delfin ein Stück zur Seite – gerade weit genug, dass sie nicht dran kam.

He, wie würde Dir das gefallen, wenn Du so durchs Rote Meer tauchst, und auf einmal stürzt sich eine Horde Delfine auf Dich und grabscht an Dir rum?

Ja, ist ja okay. Darf ich jetzt vielleicht weitermachen?

Bitte sehr!

Die Delfine umkreisten uns also; nachdem wir unseren “Übungsplatz” verließen und ein Stück Abstand davon gewonnen hatten, kam eines der Tiere hin und grub den Sand durch – genau an den drei Punkten, an denen wir gesessen waren. Er schien neugierig zu sein, was wir da gemacht hatten. Vielleicht wollte er aber auch nur sagen: “Macht’s gut, und danke für den Fisch!”

Ich habe Duftspuren aufgenommen. Und ich kann nur sagen, der Typ mit den langen Haaren war wesentlich cooler als Ihr beiden. So ganz habt Ihr’s noch nicht im Griff gehabt mit der Nervosität, was? Und dann diese plumpe Anspielung auf Douglas Adams…. ts! “Macht’s gut und danke für den Fisch”. Was besseres ist Dir nicht eingefallen?

Ich mache jetzt einfach mal weiter. Beachten Sie den Meeressäuger einfach nicht weiter. Wie gesagt, wir machten uns auf den Weg zurück zum Boot. Unser Tauchlehrer zeigte uns noch ein paar Besonderheiten des Riffs, unter anderem einen Clownfisch – oder “Orange-Ringel-Anemonen-Fisch”, um genau zu sein. Damit hatten wir, wie uns von den Werbern der Tauchbasis versprochen worden war, auch “Nemo” gesehen.

Auf dem weiteren Weg jedenfalls machten wir nochmal halt. Der Tauchlehrer deutete auf ein Stück Fels, das aus dem Riff aufragte. In dessen Oberseite war eine winzige Höhle, besser gesagt, ein Loch, vielleicht gerade mal ein bis zwei Zentimeter im Durchmesser. Aus dieser lugte ein ebenso kleiner Fisch hervor. Welche Art? Keine Ahnung. Ich sah nur einen winzigen Kopf mit zwei großen dunklen Augen. In dem Moment fiel mir was auf – wo war Annette? Ich sah mich um. Aha, der Tauchlehrer und ich betrieben meeresbiologische Studien, und Madame ist auf Exkursion, so so. Sie schwebte sozusagen über den Dingen, ein paar Meter von uns entfernt und etwas über uns. Und kam nicht näher. So verpasste sie die Entdeckung einer neuen Fischart, die ich spontan und in aller Bescheidenheit “Pescaria Reimnitzi” genannt habe. Und vielen Dank für die Blumen. He, das war doch eine bislang unentdeckte Fischart, oder?

Die vorletzte Übung bei diesem Tauchgang sollte ein simulierter Notaufstieg sein. Respektive, das Wort “Notaufstieg” ist eigentlich falsch, denn einen Notaufstieg führt man allein und mit Tempo durch. Was wir zu üben hatten, war ein Aufstieg während dem man an der alternativen Luftversorgung des Partners hing. Da wir beide diese Übung machen mussten, simulierte der Tauchlehrer für uns beide nacheinander den Partner. Der Aufstieg sollte aus fünf Metern Tiefe entlang der Leine, die am Tauchboot abwärts hing, stattfinden. Doch wer sollte zuerst aufsteigen? Der Tauchlehrer fragte nach dem Füllzustand unserer Flaschen. Arrgh! Annette hatte schon wieder mehr Restdruck als ich. Also war ich zuerst dran. Ich machte das Zeichen, dass ich keine Luft mehr hätte (natürlich nur zu Übungszwecken), ich bekam von ihm die alternative Luftversorgung und wir stiegen auf. Es klappte reibungslos. Oben hielt ich mich an der Boje fest, an der wiederum das Tauchboot hing. Schon wollte mir die Besatzung hilfreich zur Seite springen, weil sie glaubten, ich würde es nicht mehr bis zum Boot schaffen. Ich musste aber noch im Wasser bleiben, schließlich gab es immer noch Übungen zu absolvieren an der Oberfläche. Aber wo blieben eigentlich der Tauchlehrer und Annette?

Ich nahm den Regulator raus und den Schnorchel in den Mund. Einmal wollte ich auch Luft sparen! Dann sah ich nach unten. Da waren sie, in fünf Metern Tiefe. Der Tauchlehrer war bei Annette, die sich mit einer Hand an dem Seil festhielt und aufgeregt in eine Richtung deutete. Was war dort? Ich blickte hin – die Delfine waren wieder da!

Wir sind wieder hier, in unser’m Revier, war’n nie wirklich weg, hatten uns nur versteckt… Ätsch!

Was die beiden genau machten, konnte ich von meiner Position aus nicht sehen. Das ärgerte mich ein wenig, und das alles nur, weil ich ein bisschen mehr Luft verbraucht hatte als Annette. Na gut, eigentlich hatte sie fast doppelt so viel Restdruck wie ich. Jedenfalls machte dann auch sie die Aufstiegsübung und sie und der Tauchlehrer erschienen an der Oberfläche. Dann machten wir uns an die letzten Pflichtübungen: dem Buddy an der Oberfläche eine Hilfe sein. Dazu gehörte das gegenseitige Abschleppen oder das Helfen beim Wadenkrampf. Eigentlich sollten wir uns zuerst gegenseitig abschleppen, aber unfreiwillig warf ich die Reihenfolge durcheinander. Der Anfang klappte ja recht gut, ich drehte Annette auf den Rücken und ließ Luft in ihre Tarierweste. Dann sollte das eigentliche Abschleppen kommen. Dazu musste ich ihren Kopf festhalten und meine Beine in eine Position bringen, dass ich uns beide mit Flossenschlägen vorwärts bringen könnte. Das Problem war, dass ich mich dazu selbst halb auf den Rücken legen musste. Doch meine Flossen wollten nicht so wie ich, weil ihre Blätter durch den Wasserwiderstand gebremst wurden. Da machte ich den Fehler, dass ich unbedingt mit Gewalt in die richtige Position wollte. Ich spannte also die Wadenmuskeln an – und bekam einen Krampf. Na klasse, damit hatte ich das auch noch mitgenommen. Als der Tauchlehrer merkte, was los war, wies er Annette an, schnell die Übung mit der Hilfe beim Wadenkrampf zu machen. Es tat sehr gut, als der Schmerz nachließ.

Irgendwann hatten wir die Übungen beendet. Wir hatten es fast geschafft auf dem Weg zu unserem Tauchschein. Aber wir wollten noch ein Beweisfoto für unsere Heldentaten haben. Mindestens das! Und dann zurück ins Boot!