Es war soweit. Der TL war abgestiegen, Thorsten direkt hinterher…es fehlte nur noch….ich.

Ich trieb noch an der Oberfläche und ließ mir alles durch den Kopf gehen. Ruhe bewahren. Wenn mir das mit dem Wrack zu viel würde, würde ich gar nicht hinsehen. Aufpassen, dass man den Regulator nicht verlor. Am besten die Hand am Oktopus (Ersatzregulator) lassen. Nicht zum Heck schauen beim Abtauchen…tausend Gedanken schossen mir durchs Hirn.

Gut. Es half alles nichts. Runter mit mir! Ich ließ die Luft aus dem Jacket und tauchte ab. Leider nicht sehr weit. Nach 20 cm ging es nicht weiter. Was war passiert? Ich merkte, dass ich bereits mit dem Gesicht unter Wasser war, aber ich kam nicht weiter runter. Also tauchte ich wieder auf. Hm… Ich überlegte kurz. An der Ausrüstung konnte es nicht liegen, unser TL hatte alles genauestens gecheckt. Also… auf ein Neues. Wieder ließ ich die Luft raus, wieder kam ich nicht weiter. Meine Stirn blieb hartnäckig aus dem Wasser. Ich ließ Luft ins Jacket. Und kam wieder hoch. Wut schoß in mir hoch. Was war denn jetzt wieder los? Thorsten war problemlos abgestiegen, wo lag denn bei mir der Fehler? Da blubberte es neben mir und das Gesicht meines TL erschien an der Oberfläche. “Möchtest Du nicht auch zu uns runter kommen?”, fragte er sanft. Ich mußte aufpassen, dass ich ihn nicht anfuhr. So sehr ärgerte ich mich über mich selber. “Will ich ja”, plapperte ich los, “aber ich komm nicht runter, ich weiß nicht woran es liegt…” Während ich schwatze wie ein Buch fing der TL an zu lächeln. “Laß doch mal das Seil los”, meinte er, “dann kommst du auch runter.” Ich erstarrte. Das durfte doch nicht wahr sein! Vor lauter Angst vor diesem Schiff hatte ich mich an das Seil geklammert und es noch nicht mal gemerkt. Ich ließ los. Augenblicklich schoß ich in die Tiefe. Zum Glück. Ich vermute, dass ich knallrot geworden bin, aber die Natur hatte mit mir ein Einsehen. Rot ist mit die erste Farbe unter Wasser, die “verschwindet”. Sonst hätte man mich mit der Notboje verwechselt.

Thorsten hing unten am Seil und wartete. Endlich waren wir vollzählig. Es ging los. Wir drehten uns in Tauchrichtung, ich kniff schnell die Augen zusammen. Und blinzelte. Und staunte. Ich riß die Augen auf. Da war sie. Der Bug der Ghiannis D. Wir tauchten direkt drauf zu. Und… es war überhaupt nicht schlimm. Das Schiff war bewachsen, aber nicht mit Tang. Es lag fast freundlich da. Das Wasser war klar, der Tauchplatz richtig hell. Überall schwammen Fische. Die Ghiannis D hatte überhaupt nichts Gespenstisches an sich.

Fast augenblicklich fiel die ganze Anspannung von mir ab. Ich tauchte! Hey! Das war ja leicht! Ich blickte nach links. Der Bug zog an mir vorbei, neben mir Zebrafische, die neugierig ihren Kopf schräg legten um zu gucken, wer denn da neben ihnen schwimmt. Ich sah nach rechts. Neben mir Thorsten. Auch er sah entspannt aus. Er nickte mir zu, so als ob er sagen wollte, das war die richtige Entscheidung, dass wir das gemacht haben. Ich stimmte ihm innerlich zu.

Inzwischen wurde ich mutiger. Das Tauchen klappte ja einwandfrei. Wir tauchten perfekt parallel zueinander, wir hielten die Höhe, und dafür, dass ich zuvor noch nicht einmal geschnorchelt hatte fand ich mich gut. Zu gut. Aber ich hatte auch ein Erfolgserlebnis verdient. Fand ich jedenfalls.  Jetzt wollte ich mehr. Ich drehte nach links ab, um mir den Bewuchs des Schiffes näher anzusehen, da merkte ich, wie ich wieder diesen verflixten Drang bekam, nach rechts zu kippen. Genau wie im Pool. Ärgerlich versuchte ich mich zu halten, es ging nicht. Jetzt versuchte ich es mit Gewalt. Je mehr ich nach links schwenken wollte, um so mehr drehte ich mich nach rechts. Genervt gab ich auf. Ich würde es später nochmal versuchen. Statt dessen sah ich nach rechts. Über uns, ein kleines Stückchen entfernt, tauchte unser schweizer Kollege. Ich musste fast lachen. Die Schweizerin tauchte über ihm und zog ihn an der Flasche. Das veranlasste mich zu der Überlegung, wo eigentlich unser TL war. Den hatte ich am Abstiegsseil zuletzt gesehen.

Ich drehte mich um – und tatsächlich. Auch er zog uns an den Flaschen! Ich verdrehte innerlich die Augen. Du liebe Zeit, und ich dachte, das sei alles so einfach. Ist es auch, wenn man gezogen wird! Jetzt wurde mir auch klar, wo dieser “Rechtsdrall” herkam… dem strengen Blick nach zu urteilen duldete er meinen Ausbüchsversuch nicht.

Schließlich ließ er uns aber doch los. Das merkten wir gleich. Denn schon wurde das Tarieren schwierig. Wir waren inzwischen am Bug vorbei und befanden uns über dem Trümmerfeld. Die Ghiannis D hatte Holz geladen und war auseinandergebrochen. Zwischen Bug und Heck befand sich besagtes Trümmerfeld. Unser TL kam zurück, schnappte uns und drückte uns Richtung Grund. Wir kamen immer tiefer. Schließlich fehlte nur noch eine Handbreit, dann hätten wir stehen können. Aber…hatte der TL nicht gesagt, dass wir ja nichts anfassen oder berühren dürften? Ich zog schließlich sogar die Knie an, damit ich nicht mit meinen Flossen den Grund berührte. Dann sah ich, dass die beiden Herren schon standen. Klasse! Also stellte ich mich auch hin. Mit wenig Erfolg. Sofort fing ich an zu schwanken, wie wenn ich betrunken wäre. Ich versuchte es auszugleichen, es ging nicht. Schließlich ließ ich “etwas” Luft ins Jacket, weil ich mir dadurch mehr Sicherheit erhoffte. Dadurch wurde es aber nicht besser, im Gegenteil, ich schoß wie ein Sektkorken zur Oberfläche. Zum Glück reagierte der TL und fing mich ein und zog mich zurück. Das Tarieren war wohl doch nicht so einfach wie ich das dachte.

Wir tauchten dann weiter zum Heck. Da wollte ich nicht hin. Ich merkte, wie ich anfing, mich innerlich zu sperren. Bis dahin ging es ja, aber das Schiff hatte sicher eine riesige Schraube! Oh weh. Wir erreichten das Ende vom Heck. Ich sah geradeaus. Nicht nach links. Nein nein!

Ich erhielt einen Stoß. Vorsichtig sah ich nach links. Direkt in die ausgestreckte Hand meines TL. Was sollte denn das jetzt? Ich war fast beleidigt. Okay, ich hatte bereits bewiesen, dass ich leicht unberechenbar bin unter Wasser, aber so schlecht fand ich mich jetzt auch nicht, dass ich an einer Hand tauchen müsste. Gehts noch, dachte ich, also das schaff ich schon alleine! Ich ignorierte die Hand und schwamm alleine weiter. Eine Sekunde später war ich an der Hand meines TL. Hier will ich eine kleine Bosheit loswerden: Liebe Tauchlehrer/innen! Es ist bewundernswert, wie ihr unter Wasser blitzschnell zugreifen könnt, und das obwohl die Entfernungen unter Wasser völlig anders erscheinen… aber ich wette mit euch… an Land greift ihr mit euren wasseradaptierten Augen alle daneben, haha!

Der Grund, warum wir an die Hand genommen wurden, war folgender: Unser TL wollte uns hinten am Heck etwas zeigen. Zuerst war Thorsten dran. Damit ich nicht wieder abhanden kam, wollte mich der TL am Heck “stehenlassen”, dh er wollte, dass ich mich an die hintere Reling hänge und da warte. Oder wo auch immer. Ich weiß es nicht mehr. Das ging mir jetzt doch entschieden zu weit. Ich hatte mich damit abgefunden, zum Schiff zu tauchen. Ich war sogar am Heck. Aber das Schiff anfassen…nein danke. Ich bedeutete ihm, dass ich hier einfach im Wasser “stehen bleiben würde” und da warte. Er verstand mich nicht oder wollte mich nicht verstehen, jedenfalls zog er meine Hand Richtung Heck. Ich zog dagegen. Eine kleine Rangelei später, die ich gnadenlos verlor, hing ich todesverachtend am Heck. Und verdrehte die Augen. Und sah direkt zu unserem Tauchboot. Unten..

Auch hier war ich überrascht. Das Boot hatte gar keine typische Schiffsschraube. Es sah eher aus wie ein horizontal liegendes Mühlrad. Und dieses war nicht am Heck, sondern unten am Rumpf.

Nachdem ich auch hier gemerkt hatte, dass ich wiedermal Angst vor nichts hatte, kam der TL zurück. Thorsten baumelte irgendwo am Heck, und dieses Mal schob der TL (ziemlich vehement… man kann’s ihm nicht verübeln) zu einem Bullauge. Ich spähte hinein. Drinnen – ich weiß nicht mehr, ob es eine Kabine oder sonst was war, drehte sich ein “Wirbelsturm” aus Fischen. Sowas hab ich noch nie gesehen. Ich hätte stundenlang zugucken können. Schade schade, dass ich da keine Kamera hatte….

Wir tauchten um das Heck herum (immer schön die Augen oben lassen!) auf die andere Seite zurück. Wenn ich jetzt ehrlich bin, dann sag ich eins: Ich weiß nicht mehr viel davon. Ich weiß nur noch, dass irgendwo der Ladekran im Weg hing, und daran war unser Tauchboot festgemacht. Ich dachte, ich tauche gleich gegen den Kran, also ließ ich wie wild Luft ins Jacket… ich brauche den erfahrenen Tauchern hier nicht zu erklären, was dann passierte! Aber gut. Die Entfernungen unter Wasser abzuschätzen ist eine Sache für sich und wahrscheinlich Erfahrungssache.

Schließlich zeigte uns der TL an, dass wir auftauchen sollten. 45 min waren wir unten gewesen. Ich konnte es nicht glauben. Ich steckte voller Emotionen, und ich wußte gar nicht, wohin damit. Wir stiegen am Seil auf. Und machten noch einen Sicherheitsstop. In der Zeit wollte ich damit anzufangen, meine Gedanken zu sortieren. Es gelang mir nicht. Es war, als ob mir das Erlebte und Gesehene wie Sand zwischen den Fingern verrann. Ich dachte nach. Das Schiff war vor 30 Jahren auf ein Riff aufgelaufen. Wenn ich es jetzt recht bedachte, ich hatte überhaupt kein Riff gesehen! Das hätte doch direkt neben dran sein müssen! Ich konnte nicht sagen, wie ich mich fühlte. Erleichtert? Weil ich das Wrack “überstanden” hatte? Glücklich? Ja, das war ich. Und nicht zuletzt deshalb, weil ich gemerkt hatte, dass ich mich an das Medium Wasser angefangen hatte zu gewöhnen. Ich merkte, dass ich zwar Respekt vor dem Tauchen hatte, mir die Gefahren bewußt waren, aber Angst hatte ich nicht.  Auch die Ängste vom Vorabend waren wie weggeblasen. 12 m wirkten unter Wasser nicht wie 12 m. Wenn man nach oben sah, dachte man, man wäre höchstens 5 m unter der Oberfläche.

Innerlich war ich stolz auf mich. Und auch auf Thorsten. Wir hatten es geschafft! Gut, der eine sprang nicht von der Plattform, die andere tauchte nicht ab – was der TL gedacht hat, das wollten wir lieber nicht wissen, aber eins wurde uns nach dem ersten Tauchgang bewußt: Wir hatten uns wegen der Umstände Sorgen gemacht, Tiefe, Ängste, usw, aber vor dem Tauchen AN SICH hatte keiner von uns Angst gehabt….