Let's Wasser!

Monat: Juli 2009 (Seite 2 von 2)

Scuba Diver: Der Erhalt des Brevets – Thorstens Version

Wir hatten es also geschafft. Aber so einfach wollten wir das dann doch nicht machen. Nein, ein Beweisbild musste schon sein. Leider hatte ich – trotz der wasserdichten Verpackung – meine Kamera nicht auf die Tauchgänge mitnehmen können, da die Hülle nur bis 10 Meter Tiefe dicht hält, wir aber bei beiden Tauchgängen auf 12 Metern waren. Tja, vor dem Urlaub hatte sich das noch so toll angehört, bis 10 Meter Tiefe… tiefer wird man ja wohl kaum kommen. Wir wollten doch nur schwimmen und schnorcheln. So kann man sich irren.

Also wurde meine Kamera von einem Besatzungsmitglied des Tauchboots ins Wasser gereicht und unser Tauchlehrer bot sich an, das Bild von uns beiden zu machen. Nun muss man dazu folgendes sagen: Wir waren beide erledigt, physisch, psychisch und wir hatten gewisse Erfolgserlebnisse gehabt, die uns in eine gewisse Hochstimmung versetzten. Vielleicht war auch noch der Reststickstoff für letztes mitverantwortlich, wer weiß. Jedenfalls meinte unser Tauchlehrer, uns mit einem flotten Spruch zum Lächeln zu bringen fürs Foto. Er visierte uns an und meinte: “So, und jetzt sagt mal ‘Steuerrückerstattung’!”

Zu viel des Guten - "lächeln", nicht "sich ausschüten vor Lachen"!

Sie finden das jetzt nicht soooo witzig? Mag sein. Aber wie gesagt, in der Situation, in der wir waren, brach es einfach aus uns heraus. Ich glaube, ich hätte in dem Moment alles lustig gefunden, selbst wenn der Tauchlehrer sowas gesagt hätte wie “Hinter Euch ist ein Hai!” Aber er war gnädig und machte noch eins.

Summon the Heros!

Na gut, ich lächelte nicht so arg, weil mich die Sonne genau blendete, aber trotzdem, das Bild hat was. Der Beweis, dass wir wirklich tauchen waren. Na ja… okay… nicht wirklich ein Beweis fürs Tauchen, aber egal. Zumindest ein Beweis, dass wir Neoprenanzüge angehabt hatten und im Wasser waren. Dann raus aus dem Wasser, raus aus den Klamotten, fertig für heute.

Fertig für heute? Nein, nicht ganz. Theorie war nochmal angesagt, respektive das Abfragen derselben, Erklärungen und natürlich die obligatorische Tauchgangsnachbesprechung. Aber zuvor hatte ich noch eine Begegnung, die mein geistiges Fassungsvermögen etwas überstieg. Es waren sehr viel Eindrücke gewesen, die ich an diesem Tag gesammelt hatte. Und dann, gerade als ich wieder mal trocken und in “Zivilkleidung” war, stürmte die Schweizerin auf mich zu und fragte mich aufgeregt: “Did you see the dolphins??”

Vermutlich setzte ich in dem Moment einen der dämlicheren Gesichtsausdrücke auf, über die ich verfüge. Das war etwas zu viel – eine Schweizerin, die sich in Ägypten mit mir – einem Deutschen – auf Englisch unterhält? Verstand, bitte hilf mir!

Nö, keine Lust. Sieh doch selbst zu, wie Du klarkommst! Ich hab heute schon genug gearbeitet!

Zum Glück kam unser Tauchlehrer dazu. “Die beiden wissen noch gar nicht, was sie für ein Glück gehabt haben”, meinte er. “Der zweite Tauchgang, und schon kriegen sie Delfine aus der Nähe zu sehen.” Und einer der anderen Taucher, der mit dabei stand, meinte: “Stimmt, ich habe schon über hundert Tauchgänge hinter mir, und das ist das erste Mal, dass ich Delfine sehe.” Wow. Zu mehr war ich in dem Moment nicht mehr fähig.

Irgendwann waren wir zurück an der Basis und der Tag neigte sich dem Ende zu. Aber Moment! Erst mussten noch Bilder gemacht werden für unser Brevet. Bilder? Ich sah bestimmt furchtbar aus. Tat ich auch. Und das Bild ist jetzt auf meinem Tauchschein drauf. Ganz Klasse. Ich lächle zwar freundlich, sehe aber aus, als ob ich in einen Fallwind geraten wäre. Und es gab keine Gnade – keine Wiederholung. Das erste Bild wurde genommen. Anders bei Annette. Ja, Madame hat mal wieder eine Extrabehandlung bekommen. Sie wurde zweimal fotografiert.

Zuletzt saßen wir an einem Tisch vor der Tauchbasis und bekamen unsere vorläufigen Brevets ausgehändigt. Wir hatten die Ausbildung bestanden und dürften von jetzt an tauchen gehen. Zum Beispiel auch zu Hause in Deutschland. Aber nicht doch… wer will das denn? Und dann gab uns unser Tauchlehrer noch ein paar Weisheiten mit auf den Weg.

  • Wollt Ihr nicht die nächste Stufe, den “Open Water Diver”, gleich noch mitmachen? – Ach ne, warum denn? Außerdem ging sich das zeitlich nicht mehr aus, wir hätten zwei Tage gebraucht, aber schon eine Schnorcheltour gebucht, und nach der Tour hätten wir nur noch einen Tag gehabt.
  • Es wird Euch aber bald nerven, “nur” Scuba Diver zu sein und immer so einen Aufpasser dabeihaben zu müssen. – Nein, nein, ist schon ganz okay so, da ist wenigstens immer einer dabei, der Ahnung hat.
  • Ihr werdet bald anfangen, Eure eigene Ausrüstung anzuschaffen. – Wie kommst Du denn da drauf? Das Zeug kann man doch überall mieten, wer braucht denn schon eine eigene Ausrüstung, wenn man nur als Urlaubstaucher unterwegs ist? Na ja, vielleicht so ein paar Kleinigkeiten, wo’s schon nicht schlecht ist, was eigenes zu haben, aber sonst… nein.
  • Ihr solltet unbedingt auch in Deutschland weitermachen mit dem Tauchen, und sei es im Schwimmbad. Besser aber im Freiwasser. – Freiwasser? Du meinst, in Deutschland in so ‘nen See? Trübe, kalt – nein Danke! Schwimmbad, okay. Mal sehen, was wir da hinkriegen. Vielleicht.

So gingen wir in unser Hotelzimmer zurück, machten uns etwas frisch und gingen direkt zum Abendessen. Im Gegensatz zu dem Zeitpunkt nach dem ersten Tauchgang hatten wir nun unsere alte Form wieder und redeten, was das Zeug hielt.  Wir könnten ja, schlug Annette vor, im darauffolgenden Jahr wieder einen gemeinsamen Urlaub machen und uns einen Ort aussuchen, wo es auch Tauchreviere gibt. Dann könnten wir schwimmen, schnorcheln und tauchen. Ich weiß noch genau an welcher Stelle das war: Unsere Hotelanlage war weitläufig mit vielen Wegen und Brücken. Von unserem Bungalow aus den “Hauptweg” entlang kam man schließlich auf eine Kreuzung, von wo aus man entweder weiter in Richtung Strand und Tauchbasis gehen konnte (nach rechts) oder auf eine Brücke zu, die direkt zum Hauptgebäude führte, wo sich das Restaurant befand (nach links). Genau an der Kreuzung war es. Ich weiß das deswegen noch, weil ich begeistert von der Idee war. Manche Situationen speichern sich bei mir sehr deutlich im Gehirn ab, so auch diese.

An diesem Abend beim Essen wurde, so kann man das sicherlich sehen, der Grundstein für die Webseite der “Flat Flute Divers” gelegt (Sie baden gerade Ihre Hände drin. – Im Internet? – Nein, bei den Flat Flute Divers!). Aber zu dem Zeitpunkt ahnten wir das noch nicht. Dadurch, dass wir jetzt fertig waren mit dem Tauchschein, fiel der Druck der letzten zwei Tage von uns ab und wir waren stolz auf unsere Leistungen. Und was machten wir? Wir wurden albern. Am Tisch malten wir uns Szenen aus, etwa wie unser Tauchlehrer an uns verzweifelt und ähnliches – und lachten uns darüber kaputt. Wir lachten über uns selbst. Darüber, wie wir uns angestellt hatten und wie wir uns wohl noch anstellen werden, wenn wir nächstes Jahr wieder aufkreuzen, so als Urlaubstaucher, und was unser Tauchlehrer dann sagen würde… “hm, ja toll, Leute, Ihr habt zwei Tauchgänge im Meer von Eurem Scuba-Diver-Kurs und zwei anschließend im Schwimmbad, und das innerhalb eines Jahres, suuuuuper!” Überhaupt, unser Tauchlehrer. Der arme Kerl hat für mehr als eine ausgedachte Szene herhalten müssen, wie er an uns (und unseren nicht vorhandenen Fähigkeiten) den Glauben an die Menschheit verliert.

Wir waren so albern, dass nicht mal die Tatsache, dass uns fast der Tisch abgebrannt wäre, aus der Ruhe brachte. Im Gegenteil, wir fanden das ziemlich witzig. Nach dem Essen saßen wir noch auf dem Balkon unseres Bungalows, und noch immer lachten wir uns kaputt. Schön, das hatten wir also geschafft. Wir hatten tatsächlich einen Tauchschein gemacht. Jetzt wollten wir uns noch auf ein paar schöne Tage mit Pool und Schnorcheln konzentrieren, bevor es auch schon wieder heimging ins kalte Deutschland (es war ja immerhin November).

Wir mussten aber noch den Tauchkurs zahlen. Dazu mussten wir zweimal wiederkommen. Denn die Tauchbasis sollte ein neues Kreditkartenabrechnungssystem erhalten. “In 24 hours – Egyptian time!”, hatte der Leiter der Tauchbasis gesagt, deswegen waren wir nochmal wieder gekommen. Nun heißt der Zusatz “Egyptian time”, dass man nicht davon ausgehen konnte, dass die Zusage, etwas sei innerhalb von 24 Stunden gemacht, auch bedeutet, dass es sich dabei um 24 Stunden handelt, wie sie man sie mit einer präzis funktionierenden Uhr misst. Mehr so eine Uhr, die sich grob nach dem Wasserstand des Roten Meeres richtet. Jedenfalls bescherte uns das noch einen Besuch an der Tauchbasis, da wir dann das Geld vom Automaten holen mussten, um bar zu zahlen. Das war schon komisch, da wieder hinzugehen. Wir wurden freundlich begrüßt und sogar gefragt, ob wir nicht mitkommen wollen auf die heutige Tour. Nein, wir hatten doch das Schnorchelpaket gebucht und schon bezahlt.

Während wir dann in der Hotelhalle saßen und darauf warteten, dass unser Transfer zur Schnorcheltour kommen würde, schlich sich bei mir ein merkwürdiger Gedanke ein. Ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, wenn unser Tauchlehrer plötzlich vorbeikommen und freudestrahlend verkünden würde: “He Leute, das Schiff von Eurer Schnorcheltour hat Mast- und Schotbruch, die Tour ist abgesagt. Aber Ihr könnt stattdessen bei uns mitkommen zum Tauchen!” Ich wischte den Gedanken bei Seite. Unser Tauchlehrer würde so oder so nicht vorbeikommen, der hatte uns nämlich erzählt, dass er direkt im Anschluss an unseren Kurs als Begleiter auf eine Safari gehen würde.

Dann kam unser Bus. He, Hauptsache, raus aufs Meer… schwimmen, schnorcheln… ist doch auch was.

Scuba-Diver: Oberflächenpause und zweiter Tauchgang – Annettes Version

Wir waren gücklich aufgetaucht. Unverletzt. Unbeschadet. Wer hätte das gedacht!

Als ich die Treppe zum Tauchboot hochstieg nahm man mir die Flasche aus der Halterung. Oben angekommen entledigten wir uns erst mal der Tauchklamotte. Jetzt war relaxen angesagt. Wir sollten etwas essen, in der Zeit würden wir den zweiten Tauchplatz ansteuern, dann wäre der zweite Tauchgang dran.

Ich hatte diese Pause mehr als dringend nötig. Der Tauchgang an sich hatte mich nicht körperlich müde gemacht. Aber ich hatte meine “geistige Arbeit” unterschätzt. Tatsächlich hatte mich das viele Denken und das Überwinden derart viel Kraft gekostet, dass ich ohne Umwege sofort in die Tiefschlafphase hätte übergehen können. So bin ich. Wenn ich geistig erschöpft bin, brauche ich Schlaf. 😀

Und den wollte ich auch. Das Essen interessierte mich nicht die Bohne. Thorsten wohl auch nicht. Wir stiegen aufs Deck, und ich legte mich auf einer Bank lang. Selbstverständlich als harmlose Sonnenanbeterin getarnt. Mußte ja keiner wissen, was in mir vor ging. Kaum hatte ich wohlverdient meine Lider von innen betrachtet da erklang schon die stets fröhliche Stimme unseres TLs. “Debriefing, Leute!” De…was? Ach ja. Immer dieses Neudeutsch! Tauchnachbesprechung!

Ich hielt die Augen geschlossen. Unser Tauchlehrer hatte nicht wirklich viel an uns auszusetzen. Das war okay. Also hatte er nichts von meinen “Schwächen” mitbekommen. Sehr gut. Er fügte noch hinzu, dass der nächste Tauchplatz ein (wrackfreies) Riff sei, und dass wir dort unsere Übungen machen würden. Aha. Darüber könnte ich nachher nachdenken, beschloss ich. Erst mal Ruhe.

Unser TL ging. Aber nicht lange. Nach zwei Minuten stand er wieder da. Ich wollte mich gerade fragen, ob er eigentlich kein zu Hause hätte, da rückte er mit der Neuigkeit heraus: “Planänderung, Leute! Wir waren hier länger als wir sein wollten (ganz meiner Meinung…) und daher steuern wir sofort den nächsten Platz an, gehen runter, und essen tun wir dann auf der Rückfahrt!”

Nachdem ich meine Ruhephase in Gedanken gestrichen hatte, ging es wieder treppab. Der nächste Tauchplatz war ganz in der Nähe. Ich zwängte mich in den nassen, kalten Neopren. Huh, war das ekelig. Dann ging es los.

Dieses Mal klappte alles problemlos. Thorsten sprang von der Plattform, und ich tauchte ab. Ohne mich ans Seil zu klammern. Ich kam mir schon vor wie ein Profi. Wir tauchen unserem TL hinterher, der uns zu einem sonnigen Riff führte. Hier war außer uns kein Mensch. Wir ließen uns für die Übungen auf den Meeresgrund sinken. Ich sah nach oben. Und auf  meinen Computer. Wir waren gute 12 Meter unter Wasser. Na, so schlimm ist das doch nicht. Mein Blick fiel auf den Meeresboden. Interessant… es sah aus wie Sand, weißer Sand, den man vom Strand her kennt. Aber… hier war er viel gröber. Ich ließ den Sand durch die Finger gleiten. Da erhielt ich mal wieder einen Stoß. Thorsten versuchte mir mitzuteilen, dass unser TL seit einiger Zeit erfolglos probierte, meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das ist auch so eine Sache. Ich lasse mich zu sehr von der Umgebung faszinieren.

Jetzt konnten wir aber endlich beginnen. Die Anfänge klappten ganz gut. Dann passierte es:

Ich sollte die Brille fluten und ausblasen. Ich ließ Wasser in die Brille, da merkte ich, dass ich unpassenderweise niesen musste. Einen dümmeren Zeitpunkt hätte ich mir gar nicht aussuchen können. (Für die Könner: Nein, ich hab kein Wasser in die Nase bekommen! Ich musste einfach nur niesen!). Mir schossen Gedanken durch den Kopf. Ich musste innerhalb einer Sekunde handeln, das war mir klar. Aber… wie ist das? Wenn man niest? Man holt tief Luft! Über den Mund? Oder reflektorisch auch über die Nase? Das wäre ja schlecht, denn meine Nase badete gerade im Meerwasser. Und wenn ich jetzt niese? Beschleunige ich den Regulator nicht auf 100 km/h und spucke ihn jemand anderen ans Hirn? Ich musste diesen blöden Niesreflex unterdrücken, soviel war klar. Und zwar schnell.

Ich sprang aus dem Schneidersitz auf die Knie und “rollte” mich ein. Mit der rechten Hand presste ich mir den Regulator in den Mund (ja nicht verlieren, falls ich doch niesen muss), konzentrieren!!!! konzentrieren!!! Ja nicht über die Nase Luft holen, mit der linken Hand wollte ich mir gerade an die Nase fassen, um das versehentliche Luftholen zu unterbinden, da spürte ich die Hand meines werten TLs auf meinem Arm. Nett gemeint. Entweder wollte er mich beruhigen, oder er wollte mich festhalten für den Fall, dass ich nach oben preschen will. Aber leider hinderte er mich daran, mir die Nase zu zu halten. Ich versuchte, ihm meinen Arm wegzureißen, aber dummerweise war er den Umgang mit mir inzwischen gewohnt. Der Griff blieb eisern. Ich weiß nicht warum, aber auf einmal war der Niesreflex weg. Gott sei Dank. Ich konnte die Brille ausblasen und dann war die Welt in Ordnung.

Eine nicht ganz ungefährliche Situation. Aber ich bin stolz, dass ich sie so gemeistert habe. Und wisst ihr warum? Ich habe in dem Moment wirklich nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet, panisch nach oben zu steigen. Nicht eine Sekunde.

Nachdem wir unsere Übungen beendet hatten, durften wir noch ein bißchen “herumtauchen”. Doch bevor es dazu kam, hatten wir noch ein Erlebnis der besonderen Art. Zwei Delfine kamen angeschwommen. Sie umkreisten uns und hielten an, neugierig um zu sehen, wer wir waren. Unser TL fing an, die Tiere zu animieren, und tatsächlich, ein Delfin schwamm direkt auf uns zu und tauchte zwischen uns durch. Der andere, ebenfalls neugierig, schwamm zu der Stelle, an der wir gesessen hatten und wühle mit der Schnauze auf dem Boden herum. Offenbar wollte er “nachgucken”, was wir dort getrieben hatten.

Dann schwammen sie weiter. Leider. Nun ja. Unser TL winkte uns zum Riff. Dort sahen wir “Nemo”, einen kleinen Clownfisch, der aus einer Ritze kam. Er legte den Kopf schräg, erblickte uns und verschwand sofort wieder in seiner Behausung. Er fand uns wohl nicht sonderlich interessant. Ich nutze die Gelegenheit und tauchte ein bisschen weiter. Beim Umdrehen sah ich unseren TL wieder winken. Er wollte uns noch etwas zeigen. Thorsten war bereits vor Ort. Ich wollte ebenfalls sehen, was da los war, befand mich aber ein Stück weiter über den beiden. Ich ließ Luft aus dem Jacket und tauchte ab, merkte allerdings, dass das zu schnell ging. Um nicht den beiden Herren “auf der Nase herumzutanzen” ließ ich wieder Luft rein, um meinen Abstieg abzubremsen. Was es dort zu sehen gab, hab ich nie erfahren, dank meiner professionellen Tarierkünste entging mir dieses Ereignis.

Schließlich war das Ende des Tauchganges nahe. Wir mussten noch den kontrollierten Notaufstieg üben, aber das wollte der TL mit jedem einzeln tun. Daher ließ er mich am Abstiegsseil “hängen” und stieg mit Thorsten auf.Fla ( Ich “Angeberin” hatte nämlich noch mehr Luft in meiner Flasche, die ich für schlechte Zeiten aufgehoben hatte!)Ich baumelte am Seil. Gerade wollte ich mich fragen, wie es mir da unten so ganz alleine denn ging, da kamen die Delfine zurück. Sie entdeckten mich und hielten an. Neugierig beobachteten sie mich, wie ich so alleine da “rumhing”. Schließlich kam der TL zurück und wollte mit mir aufsteigen. Aber ich wollte noch bleiben. Also tat er mir den Gefallen und schaute ebenfalls noch ein Weilchen zu. Nachdem sich die beiden Delfine überzeugt hatten, dass das Alphatier unseres Rudels wieder bei mir war, hielten sie ihre Aufsichtspflicht für überflüssig und begannen mit der Balz. Dazu drehte sich ein Tier auf den Rücken, das andere schwamm direkt drüber und streichelte seinen Artgenossen mit den Flossen.

Schließlich musste ich mich doch losreißen. Ich stieg mit meinem TL auf. Oben angekommen, sollten wir noch die Abschleppübungen machen. Da merkte ich plötzlich, dass mir die Ruhe, die ich dringend vorher gebraucht hätte, jetzt fehlte. Ich spürte, dass ich unkonzentriert wurde und eigentlich den Wunsch hatte, so schnell wie möglich aus dem Wasser zu kommen. Ich war müde. Totmüde, um genau zu sein. Und… interessanterweise, hatte ich über Wasser plötzlich den Eindruck, dass ich Luftnot hatte. Schwachsinn, ich hatte meinen Schnorchel und meinen Regulator, und selbst wenn mir die Wellen ins Gesicht schlugen, ich konnte doch problemlos atmen. Sagte ich mir. Trotzdem ließ mich das Gefühl nicht los, dass ich mich irre anstrengen musste, um über Wasser zu bleiben. Dabei konnte ich nicht untergehen. Es ging nicht! Also kratzte ich mein letztes bißchen Vernunft zusammen und machte die Übungen mit. Da bekam Thorsten noch einen Wadenkrampf. Aber auch das Problem bekamen wir in den Griff. Und jetzt durften wir endlich aus dem Wasser. Ich ließ mich von der Taucherboje zum Boot ziehen. Nach außen hin sah es so aus, als ob ich Spaß daran hätte, die Leute vom Boot lächelten mir zu. Innerlich war ich gottfroh, dass ich nicht schwimmen musste. Ich wollte nur noch raus. Raus raus raus!

Scuba Diver: Oberflächenpause und zweiter Tauchgang – Thorstens Version

Nachdem die Ausrüstung also verstaut war, kam die so genannte “Oberflächenpause”. Zwangsweise, muss man sagen, denn für den zweiten Tauchgang wurde ein anderes Tauchrevier angesteuert. Nachdem wir einigermaßen trocken und in “ziviler” Kleidung waren, saßen Annette und ich auf der Bank im offenen Bereich des Bootes und sahen aufs Meer hinaus. Und wir redeten…

…nichts.

Das kann man hier schon hervorheben. Wenn Sie die bisherigen Artikel in diesem Blog aufmerksam verfolgt haben, dann wissen Sie, dass Annette und ich stundenlang, tagelang und nächtelang über Gott, das Leben, das Universum und den ganzen Rest reden können. Sollten Sie die bisherigen Artikel in diesem Blog nicht gelesen oder nur überflogen haben, dann machen Sie zur Strafe eine zehnseitige Zusammenfassung über die bisherigen Artikel bis Samstag! Außerdem schreiben Sie hundert Mal: “Ich will nicht unaufmerksam sein, wenn mir die netten Leute von dem Blog da was erzählen.”

Wenn also zwei Menschen, die sonst über alles reden, nebeneinander sitzen und erstmal gar nicht reden, dann ist das ein Zeichen, das was passiert ist. Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was ich in dem Moment sagen sollte. Annette kam mir zu Hilfe. Nachdem wir einige Zeit stumm nebeneinander gesessen waren, sagte sie zu mir… sie sagte… äh… ja, und darauf antwortete ich… äääääh… ich weiß es nicht mehr! Die Eindrücke waren richtig heftig. Und das nicht im negativen Sinne. Und darüber sprachen wir, auch wenn ich das Gespräch nicht mehr exakt wiedergeben kann. Allein mein Gesichtsausdruck sprach Bände. Ich konnte wieder lächeln.

Schließlich kam der Tauchlehrer zu uns, um “Manöverkritik” zu machen. Aber so “hart” war das gar nicht. Wir wären halt noch unbeholfen, aber das sei normal für Anfänger. Und dann lobte er, dass wir immer so schön nach einander geschaut hatten. Tatsächlich war das – zumindest von meiner Warte aus – so, zumindest nachdem ich nicht mehr so sehr mit mir selbst beschäftigt war. Und dass wir auch auf die Idee gekommen sind, wenn der Buddy nicht rechts oder links zu finden sei, auch mal woanders nachzusehen. Es erstaunte mich, dass das was besonderes sei. Aber es ist wohl Gewohnheitssache, denn an Land erwartet man nun mal nicht, dass eine Person, die man gerade aus den Augen verloren hat, vielleicht anderthalb Meter über einem schwebt. Der Vortrag des Tauchlehrers endete sinngemäß mit den Worten: “Und jetzt gibt’s Essen!” Oh ja, Essen

…wie bitte?

Noch am Morgen war ich der festen Überzeugung, den ganzen Tag nichts essen zu können. Aber ich merkte doch ein aufkommendes Hungergefühl. Dann jedoch wurde spontan die Planung umgeworfen und wir sollten zuerst das Tauchgebiet anfahren. Die Zeit dahin würde nicht reichen, also mussten wir uns gedanklich auf den zweiten Tauchgang vorbereiten. Und auf die Übungen, die dort stattfanden.

Das Gebiet, das wir nun ansteuerten, hieß “Siyul Soraya”. Ein Riff diesmal. Gut, das erste Mal war auch ein Riff, aber auf diesem würde es kein Wrack geben. Auch gut. Als wir anlegten, sahen wir, dass wir nicht die einzigen waren. Ein Boot mit Schnorchlern war auch da. Und plötzlich rief jemand: “Seht mal, da sind schwule Haie im Wasser!” Ich sah mich um. Wovon redeten wir hier? Schwule Haie? Ich sah nur Schnorchler und war einen Moment der Überzeugung, die Person meinte die, bis ich sah, was er wirklich gemeint hatte: Delphine, denen die Rechschreibreform das “ph” geklaut hatte und die man jetzt “Delfin” schrieb. Genauer gesagt waren es Rot-Meer-Tümmler (behauptete unser Tauchlehrer). Schön, hatten wir die also auch gesehen, wenn auch aus der Ferne.

Der Einstieg und Abstieg lief diesmal reibungslos. Soll keiner sagen, dass wir nicht lernfähig wären. Wir folgten dem Riff. Genauer gesagt folgten wir dem Tauchlehrer, der dem Riff folgte, denn diesmal war nix mit schieben. Eigenarbeit war angesagt. Wieder waren es unglaubliche Eindrücke. Fische, wohin man sah. Und die schien es nicht zu stören, dass da diese Krachmacher rumschwammen (für einen Fisch muss so ein Taucher eigentlich einen Heidenlärm veranstalten). Und so langsam lernten wir auch die eine oder andere Tücke des Tauchens kennen. Unser Tauchlehrer wies uns auf einen Platz etwas weg vom Riff, wo wir uns in den Sand setzen sollten. Das Problem war, dass Annette zu dem Zeitpunkt in eine andere Richtung schaute und die Anweisung nicht mitbekam. Unser Lehrer deutete auf sie und machte mir gestenreich klar, dass ich sie anstupsen sollte. Hm. Was hatte ich Lehrbuch gelesen? Den Buddy auf einen aufmerksam machen, indem man mit dem Tauchermesser an die Flasche klopft. Schön. Tauchermesser hatte ich keins. Wer braucht sowas schon? Hm. Vielleicht könnte ich aber mit den Fingerknöcheln an ihre Flasche klopfen, so wie man an eine Tür klopft. Ob sie das überhaupt hörte? Keine Ahnung. Wie sagt Aiman Abdallah in der Werbung immer so schön? “Finden wir’s raus!” Ich schwamm also zu ihr rüber und wollte an ihre Flasche klopfen. Ich holte aus… und verfehlte sie um mindestens zwanzig Zentimeter. So viel zum Thema “Entfernungen unter Wasser einschätzen”. Das Problem war dann, dass ich sehr viel Schwung geholt hatte. Immerhin galt es, den Wasserwiderstand zu überwinden, zudem hatte ich damit gerechnet, dass meine Hand von ihrer Flasche gebremst wird. Sie tat es nicht, stattdessen bekam ich über meine linke Schulter Übergewicht und kippte nach vorne. Ich ruderte wie verrückt mit den Armen und konnte gerade noch verhindern, dass ich mich kopfüber in den Meeresboden bohrte. Ich möchte wetten, der Tauchlehrer hat gelacht. Oder die Augen verdreht. Oh Gott, wird er gedacht haben, Männer ohne Nerven.

Immerhin hatte das Manöver was gebracht, denn Annette wurde auf mich aufmerksam. Vermutlich hat mein wildes Gefuchtel eine Strömung verursacht, die sie gespürt hat. Nun setzten wir uns in Dreiecksformation auf eine Sandfläche und  machten den ersten Teil unserer Übungen. Es klappte eigentlich alles recht gut, bis auf einen Zwischenfall, den ich mir nicht ganz erklären konnte, als Annette sich plötzlich abwandte und die Hande vors Gesicht hielt. Unser Tauchlehrer war schnell bei ihr – und was auch immer es war, es war genauso schnell wieder vorbei.

Danach verlief es mehr oder weniger reibungslos, auch wenn man die Erfahung machen muss, dass das Meerwasser mehr in den Augen sticht, als das Poolwasser (das Rote Meer hat einen erhöhten Salzgehalt). Doch gerade als wir wieder aufbrechen wollten, deutete unser Tauchlehrer in eine Richtung, weg vom Riff. Was war da? Dann sahen wir es – zwei Delfine, die vorsichtig näherkamen. Offenbar waren sie neugierig geworden, was wir denn da machten. Unser Tauchlehrer schwamm ihnen ein Stück entgegen. Die Tiere blieben stehen, was sehr unwirklich aussah: sie schwebten im Wasser und “stellten” sich auf die Schwanzflossen. Der Tauchlehrer begann nun, sehr improvisiert die Hüften zu schwingen in einer Art, wie Shakira das nicht tut. Aber der eine Delfin fühlte sich animiert, ihn nachzumachen. Was war das denn? Ein tanzender Delfin? Hatte ich einen Tiefenrausch? Auf zehn Metern? Der andere Delfin kam nun zu uns herübergeschwommen. Vielleicht dachte er sich, mal sehen, ob die auch so lustig sind. Ich fühlte mich unweigerlich an eine der typischen Episoden der alten “Flipper“-Fernseheserie aus den 1960er Jahren erinnert…

Bud: “Hallo Flipper! Du bist ja so aufgeregt!”

Fünf Meilen vor der Küste ist ein Boot in Seenot geraten! Ihr müsst schnell helfen!

Bud: “Was ist los? Willst Du Fisch?”

Ich will keinen Fisch! Da ist ein Boot in Seenot!

Bud: “Hier hast Du einen leckeren Fisch!”

Lies es von meinen Lippen ab: DA IST EIN BOOT IN SEENOT… Verdammt, Delfine haben ja keine Lippen! Und dieser Fisch… bah, wie alt ist der denn? Was glaubst Du, wer ich bin? So ‘ne Art Müllschlucker der Meere?

Sandy: “Hey, Bud, was ist denn los?”

Bud: “Ich weiß auch nicht, Flipper ist ganz aufgeregt!”

Sandy: “Vielleicht will er Fisch?”

ICH WILL KEINEN FISCH! Es ist unglaublich, dass eine Spezies, die so himmelschreiend dämlich ist wie die Eure, den ganzen Planeten erobert hat. Pah, ich warte jetzt einfach 30 Jahre, dann kommt das Remake dieser Serie – da spielt nämlich Jessica Alba mit, so!

Hmmm… offenbar habe ich die Serie nicht mehr so ganz richtig präsent. Jedenfalls kam unser “Flipper” näher…

ICH HEISSE NICHT “FLIPPER”! Schließlich heißt ja auch nicht jeder Clownfisch “Nemo”, oder? Mein Name ist Bartholomäus Evonion Adalbertus der Dritte, jawohl! So viel Zeit muss sein!

Der Delfin kam näher und schwamm zwischen Annette und mir durch. Annette streckte die Hand aus, da drehte sich der Delfin ein Stück zur Seite – gerade weit genug, dass sie nicht dran kam.

He, wie würde Dir das gefallen, wenn Du so durchs Rote Meer tauchst, und auf einmal stürzt sich eine Horde Delfine auf Dich und grabscht an Dir rum?

Ja, ist ja okay. Darf ich jetzt vielleicht weitermachen?

Bitte sehr!

Die Delfine umkreisten uns also; nachdem wir unseren “Übungsplatz” verließen und ein Stück Abstand davon gewonnen hatten, kam eines der Tiere hin und grub den Sand durch – genau an den drei Punkten, an denen wir gesessen waren. Er schien neugierig zu sein, was wir da gemacht hatten. Vielleicht wollte er aber auch nur sagen: “Macht’s gut, und danke für den Fisch!”

Ich habe Duftspuren aufgenommen. Und ich kann nur sagen, der Typ mit den langen Haaren war wesentlich cooler als Ihr beiden. So ganz habt Ihr’s noch nicht im Griff gehabt mit der Nervosität, was? Und dann diese plumpe Anspielung auf Douglas Adams…. ts! “Macht’s gut und danke für den Fisch”. Was besseres ist Dir nicht eingefallen?

Ich mache jetzt einfach mal weiter. Beachten Sie den Meeressäuger einfach nicht weiter. Wie gesagt, wir machten uns auf den Weg zurück zum Boot. Unser Tauchlehrer zeigte uns noch ein paar Besonderheiten des Riffs, unter anderem einen Clownfisch – oder “Orange-Ringel-Anemonen-Fisch”, um genau zu sein. Damit hatten wir, wie uns von den Werbern der Tauchbasis versprochen worden war, auch “Nemo” gesehen.

Auf dem weiteren Weg jedenfalls machten wir nochmal halt. Der Tauchlehrer deutete auf ein Stück Fels, das aus dem Riff aufragte. In dessen Oberseite war eine winzige Höhle, besser gesagt, ein Loch, vielleicht gerade mal ein bis zwei Zentimeter im Durchmesser. Aus dieser lugte ein ebenso kleiner Fisch hervor. Welche Art? Keine Ahnung. Ich sah nur einen winzigen Kopf mit zwei großen dunklen Augen. In dem Moment fiel mir was auf – wo war Annette? Ich sah mich um. Aha, der Tauchlehrer und ich betrieben meeresbiologische Studien, und Madame ist auf Exkursion, so so. Sie schwebte sozusagen über den Dingen, ein paar Meter von uns entfernt und etwas über uns. Und kam nicht näher. So verpasste sie die Entdeckung einer neuen Fischart, die ich spontan und in aller Bescheidenheit “Pescaria Reimnitzi” genannt habe. Und vielen Dank für die Blumen. He, das war doch eine bislang unentdeckte Fischart, oder?

Die vorletzte Übung bei diesem Tauchgang sollte ein simulierter Notaufstieg sein. Respektive, das Wort “Notaufstieg” ist eigentlich falsch, denn einen Notaufstieg führt man allein und mit Tempo durch. Was wir zu üben hatten, war ein Aufstieg während dem man an der alternativen Luftversorgung des Partners hing. Da wir beide diese Übung machen mussten, simulierte der Tauchlehrer für uns beide nacheinander den Partner. Der Aufstieg sollte aus fünf Metern Tiefe entlang der Leine, die am Tauchboot abwärts hing, stattfinden. Doch wer sollte zuerst aufsteigen? Der Tauchlehrer fragte nach dem Füllzustand unserer Flaschen. Arrgh! Annette hatte schon wieder mehr Restdruck als ich. Also war ich zuerst dran. Ich machte das Zeichen, dass ich keine Luft mehr hätte (natürlich nur zu Übungszwecken), ich bekam von ihm die alternative Luftversorgung und wir stiegen auf. Es klappte reibungslos. Oben hielt ich mich an der Boje fest, an der wiederum das Tauchboot hing. Schon wollte mir die Besatzung hilfreich zur Seite springen, weil sie glaubten, ich würde es nicht mehr bis zum Boot schaffen. Ich musste aber noch im Wasser bleiben, schließlich gab es immer noch Übungen zu absolvieren an der Oberfläche. Aber wo blieben eigentlich der Tauchlehrer und Annette?

Ich nahm den Regulator raus und den Schnorchel in den Mund. Einmal wollte ich auch Luft sparen! Dann sah ich nach unten. Da waren sie, in fünf Metern Tiefe. Der Tauchlehrer war bei Annette, die sich mit einer Hand an dem Seil festhielt und aufgeregt in eine Richtung deutete. Was war dort? Ich blickte hin – die Delfine waren wieder da!

Wir sind wieder hier, in unser’m Revier, war’n nie wirklich weg, hatten uns nur versteckt… Ätsch!

Was die beiden genau machten, konnte ich von meiner Position aus nicht sehen. Das ärgerte mich ein wenig, und das alles nur, weil ich ein bisschen mehr Luft verbraucht hatte als Annette. Na gut, eigentlich hatte sie fast doppelt so viel Restdruck wie ich. Jedenfalls machte dann auch sie die Aufstiegsübung und sie und der Tauchlehrer erschienen an der Oberfläche. Dann machten wir uns an die letzten Pflichtübungen: dem Buddy an der Oberfläche eine Hilfe sein. Dazu gehörte das gegenseitige Abschleppen oder das Helfen beim Wadenkrampf. Eigentlich sollten wir uns zuerst gegenseitig abschleppen, aber unfreiwillig warf ich die Reihenfolge durcheinander. Der Anfang klappte ja recht gut, ich drehte Annette auf den Rücken und ließ Luft in ihre Tarierweste. Dann sollte das eigentliche Abschleppen kommen. Dazu musste ich ihren Kopf festhalten und meine Beine in eine Position bringen, dass ich uns beide mit Flossenschlägen vorwärts bringen könnte. Das Problem war, dass ich mich dazu selbst halb auf den Rücken legen musste. Doch meine Flossen wollten nicht so wie ich, weil ihre Blätter durch den Wasserwiderstand gebremst wurden. Da machte ich den Fehler, dass ich unbedingt mit Gewalt in die richtige Position wollte. Ich spannte also die Wadenmuskeln an – und bekam einen Krampf. Na klasse, damit hatte ich das auch noch mitgenommen. Als der Tauchlehrer merkte, was los war, wies er Annette an, schnell die Übung mit der Hilfe beim Wadenkrampf zu machen. Es tat sehr gut, als der Schmerz nachließ.

Irgendwann hatten wir die Übungen beendet. Wir hatten es fast geschafft auf dem Weg zu unserem Tauchschein. Aber wir wollten noch ein Beweisfoto für unsere Heldentaten haben. Mindestens das! Und dann zurück ins Boot!

Scuba Diver: Der erste Tauchgang – Das Wrack der Ghiannis D, Annettes Version

Es war soweit. Der TL war abgestiegen, Thorsten direkt hinterher…es fehlte nur noch….ich.

Ich trieb noch an der Oberfläche und ließ mir alles durch den Kopf gehen. Ruhe bewahren. Wenn mir das mit dem Wrack zu viel würde, würde ich gar nicht hinsehen. Aufpassen, dass man den Regulator nicht verlor. Am besten die Hand am Oktopus (Ersatzregulator) lassen. Nicht zum Heck schauen beim Abtauchen…tausend Gedanken schossen mir durchs Hirn.

Gut. Es half alles nichts. Runter mit mir! Ich ließ die Luft aus dem Jacket und tauchte ab. Leider nicht sehr weit. Nach 20 cm ging es nicht weiter. Was war passiert? Ich merkte, dass ich bereits mit dem Gesicht unter Wasser war, aber ich kam nicht weiter runter. Also tauchte ich wieder auf. Hm… Ich überlegte kurz. An der Ausrüstung konnte es nicht liegen, unser TL hatte alles genauestens gecheckt. Also… auf ein Neues. Wieder ließ ich die Luft raus, wieder kam ich nicht weiter. Meine Stirn blieb hartnäckig aus dem Wasser. Ich ließ Luft ins Jacket. Und kam wieder hoch. Wut schoß in mir hoch. Was war denn jetzt wieder los? Thorsten war problemlos abgestiegen, wo lag denn bei mir der Fehler? Da blubberte es neben mir und das Gesicht meines TL erschien an der Oberfläche. “Möchtest Du nicht auch zu uns runter kommen?”, fragte er sanft. Ich mußte aufpassen, dass ich ihn nicht anfuhr. So sehr ärgerte ich mich über mich selber. “Will ich ja”, plapperte ich los, “aber ich komm nicht runter, ich weiß nicht woran es liegt…” Während ich schwatze wie ein Buch fing der TL an zu lächeln. “Laß doch mal das Seil los”, meinte er, “dann kommst du auch runter.” Ich erstarrte. Das durfte doch nicht wahr sein! Vor lauter Angst vor diesem Schiff hatte ich mich an das Seil geklammert und es noch nicht mal gemerkt. Ich ließ los. Augenblicklich schoß ich in die Tiefe. Zum Glück. Ich vermute, dass ich knallrot geworden bin, aber die Natur hatte mit mir ein Einsehen. Rot ist mit die erste Farbe unter Wasser, die “verschwindet”. Sonst hätte man mich mit der Notboje verwechselt.

Thorsten hing unten am Seil und wartete. Endlich waren wir vollzählig. Es ging los. Wir drehten uns in Tauchrichtung, ich kniff schnell die Augen zusammen. Und blinzelte. Und staunte. Ich riß die Augen auf. Da war sie. Der Bug der Ghiannis D. Wir tauchten direkt drauf zu. Und… es war überhaupt nicht schlimm. Das Schiff war bewachsen, aber nicht mit Tang. Es lag fast freundlich da. Das Wasser war klar, der Tauchplatz richtig hell. Überall schwammen Fische. Die Ghiannis D hatte überhaupt nichts Gespenstisches an sich.

Fast augenblicklich fiel die ganze Anspannung von mir ab. Ich tauchte! Hey! Das war ja leicht! Ich blickte nach links. Der Bug zog an mir vorbei, neben mir Zebrafische, die neugierig ihren Kopf schräg legten um zu gucken, wer denn da neben ihnen schwimmt. Ich sah nach rechts. Neben mir Thorsten. Auch er sah entspannt aus. Er nickte mir zu, so als ob er sagen wollte, das war die richtige Entscheidung, dass wir das gemacht haben. Ich stimmte ihm innerlich zu.

Inzwischen wurde ich mutiger. Das Tauchen klappte ja einwandfrei. Wir tauchten perfekt parallel zueinander, wir hielten die Höhe, und dafür, dass ich zuvor noch nicht einmal geschnorchelt hatte fand ich mich gut. Zu gut. Aber ich hatte auch ein Erfolgserlebnis verdient. Fand ich jedenfalls.  Jetzt wollte ich mehr. Ich drehte nach links ab, um mir den Bewuchs des Schiffes näher anzusehen, da merkte ich, wie ich wieder diesen verflixten Drang bekam, nach rechts zu kippen. Genau wie im Pool. Ärgerlich versuchte ich mich zu halten, es ging nicht. Jetzt versuchte ich es mit Gewalt. Je mehr ich nach links schwenken wollte, um so mehr drehte ich mich nach rechts. Genervt gab ich auf. Ich würde es später nochmal versuchen. Statt dessen sah ich nach rechts. Über uns, ein kleines Stückchen entfernt, tauchte unser schweizer Kollege. Ich musste fast lachen. Die Schweizerin tauchte über ihm und zog ihn an der Flasche. Das veranlasste mich zu der Überlegung, wo eigentlich unser TL war. Den hatte ich am Abstiegsseil zuletzt gesehen.

Ich drehte mich um – und tatsächlich. Auch er zog uns an den Flaschen! Ich verdrehte innerlich die Augen. Du liebe Zeit, und ich dachte, das sei alles so einfach. Ist es auch, wenn man gezogen wird! Jetzt wurde mir auch klar, wo dieser “Rechtsdrall” herkam… dem strengen Blick nach zu urteilen duldete er meinen Ausbüchsversuch nicht.

Schließlich ließ er uns aber doch los. Das merkten wir gleich. Denn schon wurde das Tarieren schwierig. Wir waren inzwischen am Bug vorbei und befanden uns über dem Trümmerfeld. Die Ghiannis D hatte Holz geladen und war auseinandergebrochen. Zwischen Bug und Heck befand sich besagtes Trümmerfeld. Unser TL kam zurück, schnappte uns und drückte uns Richtung Grund. Wir kamen immer tiefer. Schließlich fehlte nur noch eine Handbreit, dann hätten wir stehen können. Aber…hatte der TL nicht gesagt, dass wir ja nichts anfassen oder berühren dürften? Ich zog schließlich sogar die Knie an, damit ich nicht mit meinen Flossen den Grund berührte. Dann sah ich, dass die beiden Herren schon standen. Klasse! Also stellte ich mich auch hin. Mit wenig Erfolg. Sofort fing ich an zu schwanken, wie wenn ich betrunken wäre. Ich versuchte es auszugleichen, es ging nicht. Schließlich ließ ich “etwas” Luft ins Jacket, weil ich mir dadurch mehr Sicherheit erhoffte. Dadurch wurde es aber nicht besser, im Gegenteil, ich schoß wie ein Sektkorken zur Oberfläche. Zum Glück reagierte der TL und fing mich ein und zog mich zurück. Das Tarieren war wohl doch nicht so einfach wie ich das dachte.

Wir tauchten dann weiter zum Heck. Da wollte ich nicht hin. Ich merkte, wie ich anfing, mich innerlich zu sperren. Bis dahin ging es ja, aber das Schiff hatte sicher eine riesige Schraube! Oh weh. Wir erreichten das Ende vom Heck. Ich sah geradeaus. Nicht nach links. Nein nein!

Ich erhielt einen Stoß. Vorsichtig sah ich nach links. Direkt in die ausgestreckte Hand meines TL. Was sollte denn das jetzt? Ich war fast beleidigt. Okay, ich hatte bereits bewiesen, dass ich leicht unberechenbar bin unter Wasser, aber so schlecht fand ich mich jetzt auch nicht, dass ich an einer Hand tauchen müsste. Gehts noch, dachte ich, also das schaff ich schon alleine! Ich ignorierte die Hand und schwamm alleine weiter. Eine Sekunde später war ich an der Hand meines TL. Hier will ich eine kleine Bosheit loswerden: Liebe Tauchlehrer/innen! Es ist bewundernswert, wie ihr unter Wasser blitzschnell zugreifen könnt, und das obwohl die Entfernungen unter Wasser völlig anders erscheinen… aber ich wette mit euch… an Land greift ihr mit euren wasseradaptierten Augen alle daneben, haha!

Der Grund, warum wir an die Hand genommen wurden, war folgender: Unser TL wollte uns hinten am Heck etwas zeigen. Zuerst war Thorsten dran. Damit ich nicht wieder abhanden kam, wollte mich der TL am Heck “stehenlassen”, dh er wollte, dass ich mich an die hintere Reling hänge und da warte. Oder wo auch immer. Ich weiß es nicht mehr. Das ging mir jetzt doch entschieden zu weit. Ich hatte mich damit abgefunden, zum Schiff zu tauchen. Ich war sogar am Heck. Aber das Schiff anfassen…nein danke. Ich bedeutete ihm, dass ich hier einfach im Wasser “stehen bleiben würde” und da warte. Er verstand mich nicht oder wollte mich nicht verstehen, jedenfalls zog er meine Hand Richtung Heck. Ich zog dagegen. Eine kleine Rangelei später, die ich gnadenlos verlor, hing ich todesverachtend am Heck. Und verdrehte die Augen. Und sah direkt zu unserem Tauchboot. Unten..

Auch hier war ich überrascht. Das Boot hatte gar keine typische Schiffsschraube. Es sah eher aus wie ein horizontal liegendes Mühlrad. Und dieses war nicht am Heck, sondern unten am Rumpf.

Nachdem ich auch hier gemerkt hatte, dass ich wiedermal Angst vor nichts hatte, kam der TL zurück. Thorsten baumelte irgendwo am Heck, und dieses Mal schob der TL (ziemlich vehement… man kann’s ihm nicht verübeln) zu einem Bullauge. Ich spähte hinein. Drinnen – ich weiß nicht mehr, ob es eine Kabine oder sonst was war, drehte sich ein “Wirbelsturm” aus Fischen. Sowas hab ich noch nie gesehen. Ich hätte stundenlang zugucken können. Schade schade, dass ich da keine Kamera hatte….

Wir tauchten um das Heck herum (immer schön die Augen oben lassen!) auf die andere Seite zurück. Wenn ich jetzt ehrlich bin, dann sag ich eins: Ich weiß nicht mehr viel davon. Ich weiß nur noch, dass irgendwo der Ladekran im Weg hing, und daran war unser Tauchboot festgemacht. Ich dachte, ich tauche gleich gegen den Kran, also ließ ich wie wild Luft ins Jacket… ich brauche den erfahrenen Tauchern hier nicht zu erklären, was dann passierte! Aber gut. Die Entfernungen unter Wasser abzuschätzen ist eine Sache für sich und wahrscheinlich Erfahrungssache.

Schließlich zeigte uns der TL an, dass wir auftauchen sollten. 45 min waren wir unten gewesen. Ich konnte es nicht glauben. Ich steckte voller Emotionen, und ich wußte gar nicht, wohin damit. Wir stiegen am Seil auf. Und machten noch einen Sicherheitsstop. In der Zeit wollte ich damit anzufangen, meine Gedanken zu sortieren. Es gelang mir nicht. Es war, als ob mir das Erlebte und Gesehene wie Sand zwischen den Fingern verrann. Ich dachte nach. Das Schiff war vor 30 Jahren auf ein Riff aufgelaufen. Wenn ich es jetzt recht bedachte, ich hatte überhaupt kein Riff gesehen! Das hätte doch direkt neben dran sein müssen! Ich konnte nicht sagen, wie ich mich fühlte. Erleichtert? Weil ich das Wrack “überstanden” hatte? Glücklich? Ja, das war ich. Und nicht zuletzt deshalb, weil ich gemerkt hatte, dass ich mich an das Medium Wasser angefangen hatte zu gewöhnen. Ich merkte, dass ich zwar Respekt vor dem Tauchen hatte, mir die Gefahren bewußt waren, aber Angst hatte ich nicht.  Auch die Ängste vom Vorabend waren wie weggeblasen. 12 m wirkten unter Wasser nicht wie 12 m. Wenn man nach oben sah, dachte man, man wäre höchstens 5 m unter der Oberfläche.

Innerlich war ich stolz auf mich. Und auch auf Thorsten. Wir hatten es geschafft! Gut, der eine sprang nicht von der Plattform, die andere tauchte nicht ab – was der TL gedacht hat, das wollten wir lieber nicht wissen, aber eins wurde uns nach dem ersten Tauchgang bewußt: Wir hatten uns wegen der Umstände Sorgen gemacht, Tiefe, Ängste, usw, aber vor dem Tauchen AN SICH hatte keiner von uns Angst gehabt….

Scuba Diver: Der erste Tauchgang – Das Wrack der Ghiannis D, Thorstens Version

Nun war das also geschafft, wir waren im Wasser. Ich war im Wasser. Unglaublich, aber wahr. Dann sollte es endlich losgehen. Unser Weg sollte uns also senkrecht fünf Meter nach unten führen, an einer Leine entlang, die dort hing, beschwert durch eine Reserveflasche. Ich nahm mir fest vor, nach Annette zu sehen, wie es sich für einen guten Buddy gehört, da ich ja um ihr Problem mit den Booten wusste, dieses noble Ansinnen durchkreuzte ich mir aber selbst, weil ich einen Anfängerfehler machte. Infolgedessen hatte ich – mal wieder – genug mit mir selbst zu schaffen. Wir tauchten ab und ich wartete zu lange mit dem Druckausgleich, nämlich bis ich Druck auf den Ohren merkte. Und das war zu spät. Also stopp, ein Stück nach oben, wieder Druckausgleich… endlich konnten wir weiter runter, bis wir tatsächlich das Ende der Leine erreicht hatten. Und das waren fünf Meter? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Der Rumpf des Tauchbootes schien so knapp über uns zu sein, das waren doch höchsten zwei oder drei Meter.

Hier sah ich zum ersten Mal wieder nach Annette, die mir aber völlig ruhig zu sein schien. Umso besser. Nun gab uns der Tauchlehrer das Zeichen: Los geht’s! Er schwamm über uns, packte uns an den Flaschen und schob uns in eine Richtung, weg  von dem Seil und dem Tauchboot. Zum ersten Mal fiel mir dabei bewusst das Wrack der Ghiannis D. ins Auge, das sich unter uns ausbreitete. Wenn man sowas noch nie zuvor gesehen hat, ist so ein Anblick überwältigend. Das Schiff war ungefähr hundert Meter lang und wir schwebten über dem, was früher mal der Frachtraum gewesen und schwammen weiter in Richtung Bug. Es ging ausgesprochen gut, was mit an der Tatsache lag, dass wir von hinten angeschoben wurden. Wir kamen tiefer, doch der Druckausgleich fiel mir nun eher leichter. Das lief fast schon “nebenher”, es gab viel zu viel zu sehen. Sie müssen das verstehen, ich kannte sowas entweder nur aus dem Fernsehen oder aus Aquarien. Jetzt aber aber waren wir an einem echten Korallenriff mit einem echten Wrack… ich war hin und weg. Hinzu kam das Tauchen selbst. Das Atmen durch den Regulator funktionierte und machte mir keine Probleme. Wie gut, dass man beim Tauchen nicht reden muss, denn ich war sowieso sprachlos.

Wir erreichten endlich den Bug, wo uns der Tauchlehrer das erste Mal losließ, so dass wir frei schwimmen konnten. Wir blickten nun über den Bug, der auf die Seite gekippt war, hinweg, das Wrack entlang bis fast zum Heck. Eine unglaubliche Sicht, die ich so noch nie erlebt hatte. Man konnte sogar die Aufbauten sehen und unser Tauchboot, das daran vertäut war. In dem Moment kam mir etwas wieder in den Sinn: Hatte es nicht geheißen, der Bug würde in zehn Metern Tiefe liegen? Ungläubig blickte ich auf meinen Tauchcomputer – doch: 10,2 Meter zeigte das Gerät an. Ich blickte zur Wasseroberfläche. Sie schien so nah zu sein. Hier lernte ich, dass man keinen Pfifferling auf das geben kann, was man unter Wasser sieht oder abzuschätzen glaubt. Bei Entfernungen spielt einem die Optik eindeutig einen Streich. Ich sah zu Annette. Doch der schien es nach wie vor gut zu gehen, was mich beruhigte. Ich gab ihr das “Okay-Zeichen*”. Ist bei Dir alles in Ordnung? Sie wiederholte das Zeichen. Alles in Ordnung.

Dann setzten wir unsere Tour fort, wieder geführt von unserem Tauchlehrer. Es ging nun an der Backbordseite des Schiffes zurück in Richtung Heck. Da das Meer hier abfiel, wurde das Wasser immer tiefer. Wir durften aber nur bis zwölf Meter, also mussten wir irgendwann etwa zehn Meter über dem Meeresboden schweben. Wir kamen an der Brücke vorbei, am Kamin und waren schließlich über dem Bug. In der Tiefe unter uns konnte ich andere Taucher erkennen.

Unser Weg führte uns am Bug entlang zurück auf die Steuerbordseite, wo wir die Brücke erneut umrundeten und schließlich von vorn an eines der Fenster heranschwammen. Unser Tauchlehrer machte uns vor, wie wir uns dort festhalten durften: An der Umrandung des Fensters, aber nur mit spitzen Fingern. Nicht mit der vollen Hand zugreifen, sonst konnte man sich an dem rostigen Metall schneiden. Der Tauchlehrer deutete ins Innere. Was gab es da zu sehen? Dann erkannte ich es: Die Ghiannis D. liegt etwas seitlich gekippt. Durch eine Öffnung, vermutlich ein Bullauge oder etwas ähnliches, fiel ein Lichtstrahl in den Raum, in den ich sah. Darin befand sich ein Fischschwarm, der den Lichtstrahl umkreiste. Ein faszinierendes Schauspiel, denn der Rest des Raums lag im Dunkeln.

Während ich das betrachtete, hatte der Tauchlehrer Annette zu einem Fenster weiter rechts geführt. Irgendwann kam er dann und gab uns ein Zeichen – Zeit zum Auftauchen. Tatsächlich hatte ich den Inhalt meiner Pressluftflasche, der zu Beginn bei 200 bar war, schon bis auf knapp unter 70 bar verbraucht. Wir machten uns an den Aufstieg, um die Aufbauten des Wracks herum zu der Leine und von dort wieder an die Wasseroberfläche. Als wir diese erreichten hatten, wurden mir mehrere Dinge gewahr. Erstens, meine Nase war voller Rotz. Bah! Zweitens, der Tauchcomputer zeigte eine Gesamttauchzeit von 40 Minuten – ich hätte gesagt, wir waren höchstens 20 Minuten unterwegs gewesen. Drittens, Annette hatte noch wesentlich mehr Luft in ihrer Flasche als ich. Die Angeberin hatte wieder mal gegeizt mit dem Verbrauch und sich was für schlechte Zeiten zurückgelegt. Viertens, ich war völlig sprachlos und völlig überflutet von den Eindrücken dessen was ich eben erlebt hatte. Ich vermute mal, dass der letzte Punkt der Grund ist, warum bei dem ersten Freiwassertauchgang innerhalb des Kurses keine gesonderten Übungen vorgesehen sind. Der Tauchgang dient dazu, sich mit der Ausrüstung und der neuen Umgebung vertraut zu machen. Gott sei Dank!

Als wir an der Leiter des Tauchbootes angekommen waren, kamen die Leute von der Besatzung und nahmen uns die Flaschen ab, so dass wir nicht mit diesen die Leiter hochklettern mussten. Auf der Plattform angekommen zeigte uns unser Tauchlehrer den nächsten wichtigen Schritt: Pflege der Ausrüstung. Wir waren in Salzwasser unterwegs gewesen und mussten Regulatoren und Tarierweste abspülen. Dann schälten wir uns aus den Neoprenanzügen. Als nächstes galt es dann, die Eindrücke zu verarbeiten. Aber für den Moment war das alles ein bisschen viel. Es war ein merkwürdiges Gefühl, eine Mischung aus Stolz und Faszination. Wir hatten es wirklich geschafft. Und es war nicht so schlimm wie befürchtet. Wow. Jetzt war ich wirklich gespannt auf den zweiten Tauchgang. Und der sollte noch eine besondere Überraschung bereithalten.

* “Okay-Zeichen”: Daumen und Zeigefinger einer Hand bilden ein “O”, die anderen Finger werden abgespreizt. Ganz wichtig: Niemals beim Tauchen “Daumen hoch” für “alles okay” machen, denn dieses Zeichen bedeutet “sofort auftauchen”. Es sorgt nur für Verwirrung und einen frühzeitig beendeten Tauchgang.

Scuba Diver: Zwischen Pool und Meer – Annettes Version

Auf dem Rückweg zum Hotelzimmer wurden wir beide ungewohnt still. Hatten wir doch tagsüber viel gelacht, so merkte ich langsam, dass sich bei mir die ersten Zweifel einstellten. Der anfängliche Höhenflug setzte langsam zur Landung an. Die Freiwassertauchgänge machten mir Sorgen.

Im begrenzten Wasser zu tauchen, noch dazu in einem flachen Pool, war nun wirklich kein Hexenwerk. Die Übungen, die wir gemacht hatten, klappten auch alle gut. Zu gut. DAS war das Problem. Ich überlegte. Was würde passieren, wenn ich am nächsten Tag plötzlich die Nerven verlieren würde? Wäre ich imstande, das Gelernte, das sich bis dahin sicher noch nicht gesetzt hatte, anzuwenden? Könnte ich mir helfen? Ich dachte weiter nach. Meine  Güte, 12 Meter! 12 Meter waren doch schon ein ganzes Stück. Ich fing an, Vergleiche zu ziehen. Wieviel waren 12 Meter?

Thorsten erging es wohl ähnlich. Den ganzen Abend lang besprachen wir unsere Sorgen und lasen, was das Zeug hielt. Aber die Lösung fanden wir im Buch natürlich auch nicht. Ich sah auf. Unser Bungalow hatte eine Kuppel. Wie hoch das wohl war? “5 m vielleicht”, schätze Thorsten. WAAAS? DAS waren NUR 5 Meter? Oh Gott. Allein das jagte mir schon Angst ein. So viel Wasser über einem, und dann sollte man in 12 m Tiefe auch noch die Übungen von heute machen? Atemregulator rausnehmen? Was, wenn ich wieder Wasser schlucken würde? Da wäre ich nicht mit einem Satz aus dem Wasser.

In dieser Nacht schliefen wir beide extrem schlecht. Mich beschlich das Gefühl, dass ich mich mit der Entscheidung, “mal das Tauchen auszuprobieren”, leicht überschätzt hatte. Andererseits bin ich ein Mensch, der sich durchbeißt. Aufhören kam nicht in Frage.

Am nächsten Morgen erschienen wir pünktlich an der Tauchschule. Unser TL kam mit uns gleichzeitig. Er strahlte. Im Gegensatz zu uns. Unser Lächeln an dem Morgen ähnelte eher einem Kieferkrampf.

Dem Discover Scuba Diver erging es offenbar nicht anders. Er erzählte uns, dass er ebenfalls schlecht geschlafen hatte. Der vierte im Bunde war gar nicht erst erschienen. Ich ließ meinen Blick aufs Meer schweifen. Da war es. Das Tauchboot. Ich erschrak. Es war größer, als ich es mir vorgestellt hatte. Ein Boot von dieser Größe wollte ich nicht von unten sehen.

Schnell verdrängte ich diesen Gedanken. Unser Tauchlehrer brachte uns zum Boot und verlud unsere Ausrüstung. Er wies uns kurz in die Örtlichkeiten ein und erklärte, dass wir unsere Ausrüstungen erst dann zusammenschrauben würden, wenn alle anderen fertig waren. Sonst wäre das so ein Durcheinander. Mir war das Recht. Ich brauchte erst mal einen Moment, um mich zu einzugewöhnen.

Thorsten und ich setzten uns oben aufs “Sonnendeck”. Dann legten wir ab. Von unten war Lärm zu hören, offenbar schraubten alle Taucher an ihren Ausrüstungen rum. Nachdem es ruhiger wurde schlug ich Thorsten vor, dass wir das jetzt auch machen sollten. Insgeheim wollte ich vermeiden, dass ich dabei beobachtet wurde. Wir schlichen die Treppe runter. Unten war es still, wir waren die beiden einzigen. Perfekt. In aller Stille montierten wir unsere Flaschen. Danach gingen wir wieder hoch.

Kaum saßen wir wieder, erschien auch unser TL auf der Bildfläche. “So Leute”, sagte er, “jetzt können wir loslegen mit der Ausrüstung.” “Haben wir schon montiert”, antworteten wir beide. Dies war eine der wenigen Gelegenheiten, in denen wir unseren TL baff sahen. “Wirklich”, fragte er, “na, dann lasst mal sehen.”

Bis auf Kleinigkeiten war alles richtig. Zum Glück. Und ich hatte sogar ohne Anfeuerungen die Tauchflasche montiert bekommen! Gerade wollten wir die Treppe wieder hochgehen, da rief uns der TL zurück. Wir müssten mit ihm noch ein paar Fragen klären. Es folgte eine gute Stunde Tauchunterricht auf deutsch. Er wiederholte alles vom Vortag nochmal, auch die Theorie.

Wir saßen in der Kajüte. Wir merkten vor lauter Fragen beantworten gar nicht, wie die Zeit verging. Plötzlich wurde es wieder lauter. Die Taucher versammelten sich. Wir näherten uns wohl unserem ersten Tauchplatz. Da der Discover Diver nicht so tief runter darf wie der Scuba Diver, hatte unser TL nur noch zwei Tauchschüler: uns beide. Der Kollege würde mit jemand anderen tauchen.

Die Taucher brachen auf, um sich umzuziehen. Da kam unsere Schweizerin vorbei (die mit unserem Kollegen tauchte) und warf unserem TL eine Karte auf den Schoß. “Hier”, sagte sie, “damit du noch was erklären kannst.” Unser TL beendete erst mal seinen Unterricht, dann erzählte er uns, dass erst alle anderen das Tauchboot verlassen würden, bevor wir absprangen. Abspringen?

Ich erinnerte mich, dass ich beim Einstieg über eine Plattform gelaufen war. Diese war ca einen halben Meter über Wasser am Heck. Und von da würden wir abspringen? Oh weia, dachte ich, bloß nicht umdrehen. Ich springe direkt neben den Schiffsschrauben ins Wasser. Das ist Horror pur für mich.

Aber es sollte noch schlimmer kommen. Der TL schlug die Karte auf. “So, Leute”, sagte er, “und das ist das Tauchziel! Das ist das Wrack der Ghiannis D!” Er strahlte aus allen Knopflöchern. Er selbst ist nämlich ein begeisterter Wracktaucher.  “Dieses Schiff sank vor 30 Jahren…”

ssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss

Der Rest seines Vortrages versank in einem fast unerträglichen Ohrgeräusch von mir. Ich starrte auf die Karte. Vor mir lag ein Wrack, kein Ruderboot, ein richtiges, ausgewachsenes WRACK. Sofort schossen mir Bilder durch den Kopf, Bilder, die ich noch aus Kinderbüchern kannte. Versunkene Schiffe, gespenstisch mit Tang behangen im trüben Gewässer… oh lass das nicht wahr sein!

Ich weiß nicht, wie lange ich nichts hörte. Mein Gehör setzte erst dann wieder ein, als der TL gerade von einer Kaminklappe sprach, durch die man durchtauchen könne. Nicht nur das Gehör kehrte bei mir zurück, mein Widerstand ebenfalls. “Das kannst du wohl mal ganz schnell vergessen, dass ich durch irgendwelche Kamine tauche”, fuhr ich ihn an. Mein TL war etwas erstaunt über diesen Ausbruch, schob es aber wohl auf meine Nerven. Trotzdem schossen mir unwillkürlich Bilder durch denKopf. Kamintauchen? Ist  das ein Weihnachtsspecial? Alle mit weißen Bärten und Säcken auf dem Rücken?

Nach der Einweisung brauchte ich dringend eine Pause. Ich lief aufs Deck. Und versuchte, in Sekunden einen Notfallplan zu erstellen. Ich konnte ja schlecht zum TL gehen und ihn anflehen, nicht zum Wrack zu tauchen! Und zugeben, dass ich mich vor Wracks fürchte konnte ich auch nicht. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens behält mich der TL im Auge, wenn er weiß, dass ich Angst habe, und jedesmal wenn er mich anguckt, erinnert er mich an meine Angst. Das ist schlecht. Ich versuche schließlich selber, meine Angst einfach zu vergessen. Zweitens bekomme ich das Gefühl, wenn ich jemanden gestehe, dass ich Angst habe, ihm ein Stück weit die Verantwortung für mich zu übertragen, ich mache mich also von seiner Reaktion abhängig. Ich verlasse mich auf einen fremden Menschen und auf seine Fähigkeit, mich einzuschätzen – was er eigentlich nicht kann. Und das empfinde ich als sehr gefährlich. Ich muss selber zurecht kommen.  Also was sollte ich tun? Ich blickte aufs offene Meer… und prompt auf ein spitzes, rostiges Metallstück, das aus dem Wasser ragte. Sah aus wie ein… Bug?? Eines Schiffes? Schnell sah ich weg. Was war das hier? Friedhof der Schiffe? Wäre Steven Spielberg anwesend gewesen, dann hätte ich geglaubt, dass hier mein persönlicher Horrorfilm gedreht würde. Mit mir in der Hauptrolle.

Genervt drehte ich  mich um, und prallte mit unserem aufgeregten Discover Diver zusammen. Der zog mich sofort zur Reling. “Schau mal da!”, schrie er fast, “Kannst du das sehen?” WAS bitte soll ich da sehen? Mißmutig guckte ich  über die Reling. Delfine vielleicht? Irgendetwas hätte ich dringend gebraucht um mich aufzumuntern. Doch ich sah nur grün-blaues Wasser und irgendetwas schimmerte…..”Da kannst du es liegen sehen, das Wrack”, freute sich der Kollege. Entsetzt fuhr ich von der Reling zurück. Wo bitte war der Bus mit den Leuten, die das sehen wollten? Reichte das nicht, dass ich mir das unter Wasser antun musste?

Schließlich war es soweit. Alle Taucher waren abgesprungen. Nur wir blieben übrig. Nachdem wir eingekleidet waren und zum ersten Mal die volle Last der Ausrüstung am Leib verspürten, wankte ich mehr zum Heck als dass ich lief. Ich hatte das Gefühl, dass ich zu meiner eigenen Hinrichtung laufen würde. Auf der Plattform blieben wir stehen, Flossen anziehen, Buddycheck. Unser TL schien endlos zu reden. Ich hörte gar nicht zu. Inzwischen hatte ich nämlich noch ein Problem entwickelt. Entweder kollabierte ich jetzt auf der Plattform, und zwar vor Hitze, oder der TL sprang jetzt hoffentlich bald ins Wasser. Ich war kurz davor, vor ihm ins Wasser zu springen, um mir die längst fällige nasse Ohrfeige abzuholen, die ich dringend brauchte, um meine Sinne wieder zu richten, da sprang er endlich ab. Gott sei Dank. Wäre ich vor ihm gesprungen, hätte es sicher Ärger gegeben.

Kaum tauchte der TL ins Wasser, da sprang ich auch schon hinterher. Das kühle Wasser tat gut. Es hatte zwar nicht ganz die erhoffte Wirkung, aber zumindest war es mir nicht mehr schlecht. Ich ignorierte hartnäckig das Heck, drehte mich genau in die andere Richtung und wartete ab. Thorsten fehlte noch. Wo war er denn? Ich drehte mich dann doch mal zum Heck. Er stand auf der Plattform und sah besorgt ins Wasser. Was war los? Ich war etwas irritiert. Ok, er mag kein kaltes Wasser, das wußte ich ja, aber wir hatten doch die Ausrüstung. So kalt war es doch nicht. Ich konnte mir das nicht erklären. Der TL rief nach ihm. Ich überlegte kurz, ob ich ihn mit einem blöden Spruch ermutigen sollte (“Rock runter und ab ins Wasser!”) , doch gerade, als ihn loswerden wollte, verzog sich seine besorgte Miene zu einer Art Garfieldgrinsen. Ich merkte, dass das nicht der richtige Moment für einen blöden Spruch war, also hielt ich mein vorlautes Mundwerk. Ich hatte es ja auch gerade selber nötig, eine dicke Lippe zu riskieren!  Schließlich war es soweit. Thorsten landete neben uns. Unser TL erinnerte uns nochmal an die wichtigsten Dinge. Dann sollten wir den Abstieg beginnen…

Scuba Diver: Zwischen Pool und Meer – Thorstens Version

Nun hatten die Poollektionen also gar nicht so schlecht geklappt, obwohl ich bei jeder neuen Übung wieder nervös war. An diesem Abend galt es, unser Wissen zusammen zu bringen, also das, was wir aus den Filmen und von unserem Tauchlehrer gelernt hatten, mit Hilfe des Lehrbuchs zu etwas vernünftigen zu vereinen. Erstmal jedoch gab es Abendessen, und ich hatte auch Hunger. Man merkte es zwar nicht so direkt, aber es heißt nicht umsonst “Tauchsport” – es kostet Kraft, auch wenn wir nur im Pool herumgepaddelt waren. Während des Essens sprachen Annette und ich über unsere Erlebnisse und Erfahrungen und dass die Übungen so gut geklappt hatten. Und am nächsten Tag würde es wirklich ins Meer gehen. Auf mindestens zehn Meter Tiefe… Da wurden wir dann ruhiger. Nachdenklicher.

So langsam fingen meine Zweifel an zu wachsen. Das war doch alles viel zu glatt gegangen. Als wir dann auf unserem Zimmer waren und das Buch durchackerten, wurde es noch schlimmer. Und so langsam kamen mir wieder die Dinge hoch, die mich bisher eigentlich davon abgehalten hatten, das Tauchen ernsthaft anzugehen. Worauf hatte ich mich da eingelassen? Nicht nur, dass ich in aller Ausführlichkeit an die möglichen Gefahren erinnert wurde, es kam noch mehr dazu. Der Druck nahm zu, je tiefer man ging, das wusste ich schon. Aber das Lehrbuch machte einen darauf aufmerksam, dass das Atmen schwerer wurde, je tiefer man kam. Und was die Übungen für den nächsten Tag betraf, da gab es keine Ausreden mehr. Um für den Tauchschein gültig zu sein, mussten diese in mindestens zehn Metern Tiefe gemacht werden.

Als wir am Abend zuvor den Entschluss gefasst hatten, den Kurs zu machen, war natürlich auch die Überlegung, wofür man so einen Schein brauchen könnte. “Schön-Wetter-Taucher”, das war der Begriff, den Annette ins Spiel brachte. Das war letztlich auch das, was mir sympathisch schien. Wenn man im Urlaub ist, an einem netten, warmen Gewässer mit guter Sicht (wie dem Roten Meer), einfach eine Ausrüstung leihen und auf eine Exkursion gehen. Und da beim Scuba Diver der “Instructor” immer noch mit dabei sein musste, wäre das ja alles kein Problem.

Doch je mehr ich mich in die Materie vertiefte, desto mehr beschlichen mich Zweifel, ob ich nach dem nächsten Tag überhaupt weitermachen würde. Immerhin würde ich dann wissen, ob es nichts für mich ist und ich könnte mich in Zukunft wieder auf meine bequeme Position zurückziehen, wenn das Gespräch darauf kommen sollte. Aber den nächsten Tag würde ich noch durchziehen. Krieg ihn einfach rum! Das sagte ich immer wieder zu mir selbst. Doch das wurde zunehmend schwieriger. Schließlich las ich, dass es Menschen gab, denen unter Wasser schwindlig wurde, wenn sie “schwebend” in einigen Metern Höhe über dem Grund hingen. Vor allem, wenn die Sicht gut war. Wie zum Beispiel im Roten Meer. Na großartig. Ich bin bestimmt einer der Kandidaten, denen schwindlig wird, dachte ich mir. Immerhin hatte mein Gleichgewichtssinn mir früher dahingehend Probleme bereitet, dass ich beim Autofahren reisekrank wurde. Das verschwand zwar grundlos, als ich ein Teenager war, aber wenn ich von großen Höhen herunterblicke, kann es sein, dass mir immer noch schwindlig wird. Das hatte mit meiner Höhenangst zu tun.

Ich muss hier grundsätzlich mal etwas ausführen. Falls es Sie nicht interessiert, dann überspringen Sie diesen Absatz einfach. Aber ich möchte natürlich, dass Sie nach der Lektüre dieses Artikels zu sich sagen können: “Mensch, bei den FlutFluteDivers, da hab ich was gelernt!” Es ist nämlich so, dass die Umgangssprache mit bestimmten Begrifflichkeiten der Psychologie sehr schludrig umgeht. Banal gesagt sind einige Dinge, die man so umgangssprachlich sagt, falsch. Zum Beispiel wenn man sagt, jemand wäre “manisch depressiv”. Die meisten Menschen denken, so jemand wäre “besessen”, also extrem depressiv (eben manisch). In Wirklichkeit bedeutet es aber, dass sich Phasen der Hochstimmung (Manie) mit Phasen der Niedergeschlagenheit (Depression) abwechseln. Ähnliches gilt, wenn jemand von “Platzangst” spricht, und dabei die “Klaustrophobie” meint, also die Angst in geschlossenen Räumen. Der Begriff “Platzangst” ist ungenau und kann mit der Agoraphobie, der Angst vor großen, leeren Plätzen verwechselt werden.

Worauf will ich eigentlich hinaus? Nun, mit der “Höhenangst” verhält es sich ganz ähnlich. Bei der Akrophobie ist es nicht die Höhe an sich, sondern das Gefühl, abstürzen zu können, das die Angst auslöst. Wenn ich am Rand eines Abgrunds stehe und nach unten schaue, habe ich das Gefühl, die Schwerkraft sei hier stärker, als wenn ich einen Schritt zurück mache. Ich habe das Gefühl, die Schwerkraft hat mich am Kragen gepackt und versucht, mich herunter zu ziehen. Dabei ist es unerheblich, ob ich auf einer gerade mal zwei Meter hohen Mauer stehe oder auf einem vierzig Meter hohen Turm. Die “Höhenangst” sollte daher vielleicht eher “Fallangst” oder “Sturzangst” heißen.

Und wenn ich versuche, trotzdem nach unten zu sehen, kann es passieren, dass mir schwindlig wird. Ich konnte mir daher sehr gut vorstellen, dass das gleiche auch passiert, wenn ich schwebend über dem Meeresboden hänge. Immerhin macht es ja nicht “plumps!” und man ist auf zehn Metern Tiefe. Man muss ja irgendwie dahin kommen. Na, das konnte ja heiter werden.

Was Annette betraf, so merkte ich eine gewisse Aufgeregtheit, aber wenn wir uns unterhielten, hatte ich den Eindruck, es war nicht mehr als eine Aufgeregtheit, wie sie ein Schüler vor einer wichtigen Klassenarbeit hatte. Sie sprach zwar von den Booten und den Wracks, wegen derer sie Bedenken hatte, aber das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Wir waren Anfänger! Man würde uns doch nicht sofort auf ein Wrack loslassen! Und vom Boot aus lostauchen – wir fuhren doch zu einem Riff und würden dort irgendwo festmachen und dann von Land aus ins Wasser. Tauchboote landen doch an, oder? Bei irgendeiner Insel. Es gab doch Inseln im Roten Meer? Natürlich gab es die, aber wurden die auch angefahren?

Ich hatte keine Ahnung.

Irgendwann half alles nichts mehr. Es war zu spät und wir sollten schlafen. Immerhin würde es am nächsten Morgen beizeiten losgehen. Die Nacht war unruhig, aber ich wollte mir nichts anmerken lassen. Wir gingen zum Frühstück, allerdings nicht ohne uns gegenseitig noch nervöser zu machen, als wir schon waren. Die magische Zahl des Morgens war die “10”. So tief würde es heute runtergehen. War die Decke des Speisesaals wohl zehn Meter hoch? Schon ganz schön viel… Schließlich kam der Schweizer noch an unserem Tisch vorbei und fragte, ob wir auch so unruhig geschlafen hätten und aufgeregt wären. Und das fragte er, der nur auf fünf Meter gehen würde? Schön, dass andere Menschen auch Bedenken hatten, aber es beruhigte mich nicht wesentlich. Dann fiel mir der Tipp ein, den unser Tauchlehrer noch gegeben hatte – da wir einige Zeit mit dem Boot fahren würden, wäre es schlauer, nicht so schwer und viel zu essen, das fördert nur die Seekrankheit. Aber es war egal – ich konnte sowieso kaum was essen.

Mein Kreislauf lief entgegen seiner sonstigen Gewohnheit (ich bin Hypotoniker) schon den ganzen Morgen auf Hochtouren. Und so kamen wir bei der Tauchbasis an. “Jetzt geht es loo-os!”, grinste unser Tauchlehrer breit. Der hatte gut lachen. Unsere Ausrüstung war mittlerweile in Plastikkisten verstaut und wurde von uns an Bord unseres Bootes gebracht. Dann ging es tatsächlich los. Schnell ließen wir das Ufer von El Gouna hinter uns. Wir fuhren irgendwo aufs Rote Meer hinaus. Gleich zu Beginn der Fahrt gab uns unser Tauchlehrer jeder einen Tauchcomputer. Ich war froh, dass ich etwas hatte, an dem ich mich festhalten konnte. Wäre der Tauchcomputer ein Tier gewesen, ich hätte es wahrscheinlich aus Versehen mit meinem Griff erwürgt.

Nach einiger Zeit setzten wir uns in der großen Kabine des Bootes an einen Tisch. Theorie wurde wiederholt. Dann wurde das “Briefing” gemacht. Nachdem die erfahrenen Taucher, die auch mit auf der Tour waren, ihre Einführung über den Tauchplatz schon erhalten hatten, kam unser Tauchlehrer zu uns. Er klappte eine in Plastik laminierte Karte auf, die…

…ein Schiffswrack zeigte.

Wenn mich in dem Moment jemand gefragt hätte, ob ich aus der Kirche austreten wollte – ich hätt’s gemacht. Das war ja mal wieder toll. Typisch für die Ironie des Lebens. Und dafür zahl ich auch noch Kirchensteuern? Das Schiff hieß, als es die Meere noch befahren hatte, Ghiannis D. Dann war es auf die Nordseite eines Riffs mit Namen Shab Abu Nuhas geprallt und gesunken. Ich äugte vorsichtig rüber zu Annette. Sie hatte mir von ihren Problemen mit Wracks erzählt, ließ sich aber irgendwie nichts anmerken. Oder war sie schon erstarrt? Doch es kam noch schlimmer. Unser Tauchlehrer deutete auf einen Aufbau mit Querträger, der von den Aufbauten hochstand und meinte, genau dort würde unser Boot festmachen. Es würde also genau über dem Wrack lagern. Wir würden vom Boot springen und an einem Seil, das unter dem Boot hing, senkrecht fünf Meter in die Tiefe in die Tiefe tauchen. Na klasse! Annette hatte Probleme mit Wracks und mit der Tatsache, unter einem Boot zu tauchen – und jetzt würden wir bei unserem ersten Freiwassertauchgang auch noch alles beides haben? Ich war bereits so in der Rolle des “Buddys”, dass ich nicht bedachte, dass auf mich eventuell auch die eine oder andere Herausforderung zukommen könnte.

Unser Tauchlehrer erklärte unsere Route, vom Startpunkt aus in Richtung Bug des Schiffes, der in zehn Metern Tiefe liegt. Von da wieder zurück Richtung Heck, einmal um die Brückenaufbauten herum. Das müssten dann so ungefähr 45 Minuten sein (mir schoss durch den Kopf: “Oh Gott, die längsten 45 Minuten meines Lebens!”). Anschließend auftauchen und Fahrt zum nächsten Tauchplatz für den zweiten Tauchgang, doch zwischen den beiden Tauchgängen würde es Essen geben. Essen? Ach, werft meine Portion doch gleich ins Meer. Ich würde sowieso nichts essen können. Und die Fische freuen sich bestimmt.

Der Kampf mit dem OktopusShab Abu Nuhas kam näher. Irgendwann mussten wir unsere Ausrüstung fertig machen. Und zwar möglichst bevor die Situation eintritt, dass alle anderen schon im Wasser sind und wir noch beim Aufbauen. Also machten wir uns irgendwann dran. Bei den erfahrenen Tauchern sah das irgendwie professionell aus. Doch das, was ich tat, ließ sich mehr mit “der Kampf mit dem Oktopus*” umschreiben. Endlich saß die Tarierweste auf der Flasche und schließlich auch die Erste Stufe auf dem Ventil. Alle Schläuche waren dort, wo sie sein sollten. Schließlich sahen wir es. Genau genommen ist Shab Abu Nuhas nicht wirklich zu “sehen”, da sich das ganze Gebilde unter Wasser befindet, aber man konnte es trotzdem gut erkennen. In einiger Entfernung von uns lagen sogar Metalltrümmer auf dem Dach des Riffs und ragten in die Höhe.

Einer der Männer von der Tauchbasis sprang ins Wasser, um unser Boot mit den Aufbauten der Ghiannis D. zu vertäuen. Unser Tauchlehrer machte uns aufmerksam, dass man das Schiff schon sehen könnte – und tatsächlich! Obwohl das Wrack mindestens fünf bis zehn Meter unter uns lag, war es zu sehen. Ich hatte zwar von der guten Sicht im Roten Meer gehört, aber das übertraf doch alles. Nun mussten wir uns endgültig fertigmachen. Also zuallererst wieder den Neoprenanzug an. Das ging nicht wirklich besser als am Tag zuvor. Die Tarierweste nebst Flasche auf. Und so schwer bepackt gingen wir zum Heck des Tauchbootes, wo sich eine Plattform befand. Von hier aus sollte es losgehen. Der Tauchlehrer und Annette waren auch schnell im Wasser. Ich nicht.

Erinnern Sie sich, was ich oben über die Schwerkraft und Höhenangst sagte? Man hat das Gefühl, als sei die Schwerkraft aus irgendeinem Grund stärker, wenn man am Rand steht. Nun stand ich am Rand der Plattform und hatte eine exzellente Sicht nach unten. Zwanzig Meter in die Tiefe. Und womit ich nicht gerechnet hatte, trat ein: Noch bevor wir im Wasser waren, meldete sich meine Höhenangst lautstark zu Wort und pöbelte rum. Das Gefühl, nach unten gezogen zu werden, wurde durch die schwere Ausrüstung noch verstärkt. Und dann sollte ich tatsächlich mit einem großen Schritt reinspringen. Das ließ mich endgültig verkrampfen, denn das letzte, was jemand, der einen akuten Höhenangst-Anfall hat, möchte, ist springen! Genau davor hat man ja Angst.

Wenn ich jetzt versuche, mir ins Gedächtnis zu rufen, was genau der Tauchlehrer und / oder Annette mir in der Situation zuriefen – das gelingt mir nicht. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, dass irgendwann der Gedanke die Oberhand gewann, dass es jetzt weitergehen musste. Außerdem würde die mich von hinten bestimmt schubsen, wenn ich nicht bald freiwillig reingehe. Und das wollte ich auf keinen Fall. Wenn schon, dann von selbst!

Also dann! Tarierweste aufgepumpt, Regulator in den Mund, Regulator und Maske festhalten, uuuuund…

…ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für mich.

Meine Befürchtungen, wie ein Meteorit auf dem Deck der Ghiannis D. aufzuschlagen, bewahrheiteten sich nicht. Meine Tarierweste trug mich. Endlich war ich drin. Mir war auch schon warm geworden, so im Neopren in der prallen Sonne. Nun, unserem eigentlichen Tauchgang stand nichts mehr im Weg.

* Für die Nichtkenner: Als “Oktopus” wird der Ersatzregulator bezeichnet, der im Notfall für den Partner gedacht ist, wenn diesem die Luft ausgeht. Auf dem Bild oben ist der Oktopus der Regulator mit dem gelben Schlauch, der ganz nach unten hängt.

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